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■ VorlesungskritikInnenpolitik in Außenperspektive

An der Humboldt-Universität, zumal in den Gesellschaftswissenschaften, haben die Professoren einen besonderen Auftrag, dem sie, gleich welcher politischen Couleur und geographischen Provenienz, gerne nachkommen. Sie müssen, so meinen sie jedenfalls, ihren Studenten die Funktionsweise des westlichen Systems erläutern, für Demokratie und Rechtsstaat werben.

Der Blick von außen kann wissenschaftliche Erkenntnis normalerweise nur befördern. Es verwundert daher nicht, daß es die Studierenden – wenigstens, soweit sie aus dem Osten stammen – vorziehen, sich diese Lektionen von den wenigen Ostlern erteilen zu lassen, die in diesen Fächern noch lehren. Anders als bei manchem „Neuberufenen“, der vor einem Auditorium in Seminargröße liest, sind also die Reihen voll, wenn Dieter Klein seine „Einführung in die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik“ hält.

Natürlich läßt Klein durchblicken, wo er politisch steht. Zu DDR-Zeiten war er Prorektor für Gesellschaftswissenschaften und forschte an einem Projekt über Sozialismustheorien – ein heikles, weil innovatives Thema. Im November 1989 gehörte er zu einer Gruppe von Professoren, die der neugegründeten SDP ihre Beraterdienste anboten. Daß sie die Offerte schnöde ausschlug, dürfte die SPD mittlerweile bereuen. Kritikern dient er dagegen noch immer als Beleg für ihre These, bei Humboldts regierten Seilschaften roter Socken.

Freilich sind die Reformvorschläge, die Klein etwa seiner Aufzählung der wirtschaftspolitischen Instrumentarien anfügt, alles andere als revolutionär. Die Bodenbesteuerung zum Verkehrswert gehört ebenso dazu wie internationale Regime, denn effiziente Wirtschaftspolitik sei nationalstaatlich nicht zu organisieren. Sonst verflüchtige sich das Kapital, das „scheue Reh“, im Konfliktfall nach Luxemburg oder Monaco.

Solche Regime sollten, meint Klein, den „Basisinstitutionen der Moderne“ hinzugefügt werden, die dadurch nichts von ihrer Bedeutung verlören. Dazu gehören für ihn neben dem Sozialstaat auch der Markt, auf dessen innovatives Potential er nicht verzichten mag, und der Rechtsstaat: „Als wir ihn im Sozialismus nicht hatten, war das von Übel für die Bürger.“ Das „wir“ scheint bei Klein freilich gespalten zu sein: Er bedient sich auch dann der ersten Person, wenn er die Wirtschaftsdaten der alten Bundesrepublik vorträgt.

Doch tritt die Kommentierung in der Vorlesung hinter der Analyse zurück. Klein bietet einen gut strukturierten Überblick, der bei aller notwendigen Vereinfachung auch die internationalen Debatten einbezieht. Dabei geht er auf die Studenten zu und registriert, wenn ihm die Mimik Unverständnis signalisiert: „Sie runzeln die Stirn?“ Dann erklärt er den Gedanken eben noch einmal.

Was er bietet, hat mit den Weihestunden, die die meisten Ordinarien aus ihren Vorlesungen machen zu müssen glauben, wenig gemein. Statt dessen bietet Klein eine solide Einführungsvorlesung jener Art, an der es für Studienanfänger gewöhnlich fehlt. Ralph Bollmann

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