: Federleichter Geschlechterwechsel
■ Amazonen auf der Bühne: Die TourBienen mit "AchtLos MachtVoll" und das Theater Affekt mit Kleists "Penthesilea"
Noch gibt es keinen Artenschutz für Randspartentheater. Eine Bühne ist gemeinhin auch keine Bedürfnisanstalt für persönliche Befreiungsübungen – fürderhin ist Kritik nicht zum Kuscheln da, Frauensolidarität hin oder her. Nein: Anno 1994 mutet ein uninspiriertes Gehampel auf der Bühne – wiewohl mit dem korrekten politischen Anspruch vorexerziert – einfach seltsam an. Ein harter Schlag, diese Präsentation der Frauen- und Lesbentheatergruppe TourBienen in der Brotfabrik, kein Trost, daß sie sich des Theaterspielens nur „nebenher“ als Hobby befleißigen.
„AchtLos MachtVoll“ nennen sie ihre selbst erarbeitete Szenencollage, deren verbindendes Element das Stühlerücken ist. Thematisch stehen die Auswucherungen des Beziehungsgeflechtes im Vordergrund – sympathischerweise, ohne die Differenzen, Dissonanzen und kleinen Eifersüchteleien zu vertuschen, die eben auch zwischen Frauen und in lesbischen Beziehungen an der Tagesordnung sind. Sowenig sich die Darstellerinnen und ihre Regisseurin Claudia Rudolph um dieses „Don't“ kümmern, so wenig kümmern sie sich freilich auch um die ästhetische Verdichtung ihres Stoffes, um schauspielerische Qualität und um die Zwischentöne.
Sie kreischen, flüstern oder fluchen – leider mit jeweils 700prozentigem Pathos. Und sie schlagen unmotiviert mit den Ellenbogen (Nein, kein symbolischer Akt, eher ein Pinguintanz) oder hopsen in die Höhe. Das mag die Phantasie der Darstellerinnen vielleicht beflügeln, für die Zuschauerinnen ist diese Vorführung eine Bauchlandung. Zuviel des Betroffenheitsesprits.
Ganz anders hingegen das Theater Affekt im Theater Zerbrochene Fenster. Auch hier geht es um den Geschlechterk(r)ampf, um (Vor-)Bilder sowie Identifikationsfiguren und um die Auflösung gesellschaftlich gegebenen Rollenverhaltens. Mit „Penthesilea“ von Heinrich von Kleist (ein Stück, das ob des Aufwands und der pathetischen, kriegerischen Szenen als schwer spielbar gilt) gelingt es dem Regisseur Stefan Bachmann, seine SchauspielerInnen auf eine Geschlechterreise zu schicken, die mit Klischees spielt, sie gleichzeitig aber auch bricht.
Typisches Rollen- verhalten gibt es nicht
Johannes Herrschmann beispielsweise zeigt ein Blumen pflückendes Mädchen so arschwackelnd und zickig, daß das Klischee aufs schönste als suspekt und als Zitat decodiert wird. Vor allem aber der zauberhafte Joey Zimmermann oszilliert so federleicht zwischen den Geschlechtern, daß Achilles und Penthesilea in seiner Darstellung verschmelzen. Der Geschlechterkrieg tobt hier nicht im Außenraum, sondern ist in jeder Person strukturell angelegt – zwei Seelen, ach...
Selbst eine Vervierfachung erlaubt sich Bachmann: Zweimal sitzt das heimliche Liebespaar auf der Bühne, auf zwei sehr unterschiedliche Weisen spielen sie denselben Text, mal feurig-rasend, mal romantisch-blümerant. Sehr elegant, wie sich die Paare dabei zu einem Labyrinth der Geschlechterpsychologie verknüpfen, die hier auch besagt: „Typisches“ Rollenverhalten gibt es nicht! Prolog und Epilog zur Inszenierung betonen außerdem die Geschlechterdichotomie – sie zitieren Kleists Liebesbekundungen an „Ulrikchen“ und an den Freund Ernst von Pfuel.
Eingebettet in dieses Geschlechter-Wechselbad enthält das antikisierte Monstrum an Schlachtfeldbeschreibungen in dieser Inszenierung erfrischende Modernisierungen. Beispielsweise hechelt hier kein Bote unüberschaubares Schlachtgetümmel vor, nein, hier sitzen vier Griechen (Männer wie Frauen) magisch gebannt vor einer blendendhellen Lampe und demonstrieren fieberndes TV-Zuschauergebrüll, wie es beim WM-Finale in jedem zweiten Wohnzimmer nicht besser losgelassen wird. Packend, belustigend und zeitgemäß. Das hilft auch über kleine Durststrecken hinweg und auch darüber, daß Susann Schmuckert ihre Achilles-Szene nicht so glücklich ausfüllen kann wie Joey Zimmermann. So jedenfalls bedarf das Theater Affekt keines Artenschutzes. Petra Brändle
„AchtLos MachtVoll“, bis 26.12., 20 Uhr, Theater Reißverschluß, Kronenstraße 3, an Heiligabend gibt es nach der Vorstellung eine Weihnachtsparty; „Penthesilea“ heute und morgen sowie 26./27., 29.–31.12. und 5.–9. 1., 20.30 Uhr, Theater Zerbrochene Fenster, Schwiebusser Straße 16, Kreuzberg.
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