: Ein Gruselmärchen zu Weihnachten
■ Das Roma-Theater "Pralipe" erinnert an die Verfolgung von Roma-Frauen als Hexen, gehalten im Stil des 19. Jahrhunderts. Nun ist das Theater angekommen, wo es eigentlich nie hin wollte: bei der Folklore...
Hexen sind kluge Frauen, Bischöfe böse, alte Männer und Roma auch Menschen. Soviel weiß der gewöhnlich gut informierte Zeitgenosse, bevor er sich in eine Vorstellung des Roma-Theaters begibt, und soviel weiß er danach. Aber wieso sollte es um Wissen gehen? Um Gefühle geht es: Liebe, Haß, Verzweiflung, Trost.
Das Roma-Theater „Pralipe“ hat sich, seit es als Teil des Theaters an der Ruhr in Mülheim beheimatet ist, seinen Ruf damit erworben, daß es Theatertexte der Weltliteratur auf Romani spielte mit einer bilderreichen Ästhetik, die die Erfahrungen des modernen europäischen Theaters verarbeitet, ohne die eigene kulturelle Identität zu verleugnen.
Nun ist es da angekommen, wo es nie hin wollte: bei der Folklore. Es hat sich unter der Leitung seines Regisseurs Rahim Burhan ein Stück erarbeitet, das daran erinnert, daß ein großer Teil der in Europa als Hexen verfolgten Frauen Roma waren. Religiöser, patriarchalischer und rassistischer Wahn verbündeten sich gegen sie. Wahrlich ein Sujet. Das Roma- Theater macht daraus aber leider nur die Wiederbelebung alter Klischees.
Weihrauch und Flamenco, das sind die ersten Eindrücke der Inszenierung für Nase und Ohr, noch bevor das Auge etwas sieht. Kirche und Zigeuner, aus der Konfrontation dieser beiden Assoziationsbereiche wird eine Handlung konstruiert, die an die schlimmsten Schmachtfetzen des 19. Jahrhunderts erinnert.
Zum Beispiel an Ernst von Wildenbruchs frömmelnd verruchte Schauerballade „Das Hexenlied“, die als von Max Schillings vertontes Melodram um die Jahrhundertwende ein Sensationserfolg war: Mönch liebt Hexe im Kerker. Das schöne, unschuldige Roma-Mädchen wird als Hexe eingekerkert, weil es die Bräuche seines Volkes praktiziert. Der junge, ernste Priester verliebt sich in sie. Er wird exkommuniziert, sie hingerichtet.
In dieses Trivialgerüst werden einige Raffinessen eingebaut. Theologische Disputation: Der junge Priester liest den asthmatischen Mönchen, die unter weißen Tüchern lindernde Dämpfe inhalieren, eine einschlägige Stelle aus der Bibel vor: Matth. 12, 22-30, Jesu Macht über die bösen Geister. Das leise Hüsteln der Greise steigert sich zu kläffendem Bellen, weil sie offensichtlich den Vers „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich“ anders auslegen als der allzu milde Jungpriester.
Psychologische Symbolik: Der Vater des Mädchens läßt ihr ein Geschenk in den Kerker bringen, ein mit feiner Wäsche gefülltes Kästchen edler Machart. Sie weist es zurück, es gerät in die Hände des Priesters. Der öffnet es mit der zärtlichsten Behutsamkeit und beraucht sich am Betasten der Kleidungsstücke der fremden Jungfrau.
Unorthodoxe Verkündung: Zum entscheidenden Treffen im Kerker bringt Pater Salvatore ein Bündel Plastikspielsachen mit, Krippenfiguren, stellt sie auf und erzählt dem schönen Kind die Weihnachtsgeschichte. Worauf sie sich in die Arme fallen, aber auch nicht vergessen, zwischendurch ein Vaterunser zu beten. Dann geht die Liebe weiter, bis die beiden in eindeutiger Position vor die Füße der Nonnen rollen. „Do it now“, liebt euch hier und jetzt, Schluß mit Zölibat und Rassenhaß, es lebe die Vereinigung der Gegensätze. Das ist die frohe Botschaft dieses Krippenspiels für Ketzerinnen und Feministen. Soweit, so gut und so korrekt.
Aber es geht nicht um Botschaften, sondern um Theater, nicht um Erkenntnis, sondern um Emotionen. Und da hat der Abend einiges zu bieten: Gruseln, wenn die schwarzvermummten Mönche mit Sicheln und Spießen, begleitet von unmelodischem Akkordeongedröhn und irrem Gelächter auf die schönen, bunten Roma-Mädchen eindringen. Sehnsucht, wenn in einem Traum des gefangenen Mädchens drei Freundinnen tanzend weiße Federn ausstreuen, während sie ihren Kerker umkreisen. Empörung, wenn der Bischof die Gefesselte mit Weihwasser bespritzt, als würde er sie auspeitschen. Schrecken, wenn sie am Schluß von vier Foltermönchen an Armen und Beinen auseinandergerissen zu werden droht, bevor der Blackout sie rettet.
Die Aufführung versucht auf der Skala der primären Gefühle zu spielen wie eine mittelalterliche Bilderpredigt. Die Ketzergeschichte wird als Heiligenlegende erzählt. Die universale Sprache des Theaters wird allzuoft ergänzt durch die universale Sprache der Kirche, das Latein, um Deutliches zu verdeutlichen. Die Eindringlichkeit wird zur Einfältigkeit. Gerhard Preußer
„Hexen“ (Chohane). Roma Theater Pralipe/Theater an der Ruhr Mülheim (Ringlockschuppen). Inszenierung: Rahim Burhan.
Bühne und Kostüme: Gralf-Edzard Habben. Mit Silvija Pinku, Bali Hasan. Weitere Vorstellungen: 27. Dezember, 14., 27. und 28. Januar
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