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Mitbestimmung als Bevormundung

■ Alleinerziehende befürchten Verlust ihrer Entscheidungsfreiheit

Im Jahr 1993 wurden in Deutschland 156.425 Ehen geschieden. Auf 1.000 Eheschließungen waren dies 353 Scheidungen.

Und es waren, wie in allen Jahren vorher, meist die Frauen, die gescheiterte Ehen beendeten. Statistisch gesehen gab es noch nie so viele verlassene Ehemänner wie 1993.

Seit die Scheidungszahlen steigen, wird von Vaterrechtsverbänden gefordert, nach der Scheidung als „Regelfall“ einzuführen, daß beide Eltern das Sorgerecht gemeinsam ausüben (müssen) – notfalls auch gegen den Willen der/des Alleinerziehenden. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat eine entsprechende Gesetzesänderung angekündigt. Damit hätten dann beide Elternteile das „Recht und die Pflicht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen“ (BGB §1631).

Der Sorgepflicht von Vätern im normalen Alltag sind aber bereits deshalb Grenzen gesetzt, weil sie, sofern sie nicht selbst alleinerziehend sind, nicht (mehr) mit ihren Kindern zusammenleben. Bleiben die Rechte. Es war keinesfalls zynisch gemeint, als die Justizministerin gegenüber der Presse erklärte, die alleinerziehende Mutter werde auch beim gemeinsamen Sorgerecht das Recht haben, ohne Rücksprache mit dem Vater zu „entscheiden, wann das Kind geweckt wird, was es zum Essen erhält, welche Fernsehsendungen es sehen darf, wann es zu Bett gehen muß usw.“. Bleiben die Mitbestimmungsrechte des Vaters bei der Bestimmung von Erziehungszielen und Aufenthalt. Gerade diese Entscheidungen sind es aber, die den Alltag Alleinerziehender bestimmen. Ob das Kind ein humanistisches Gymnasium oder eine Gesamtschule besucht, ob einen Waldorfkindergarten oder eine städtische Tagesstätte, hat sehr wohl Einfluß auf Tagesablauf und Berufstätigkeit Alleinerziehender. Wenn der Vater einen Umzug von Mutter und Kind in eine Großstadt „zum Wohl des Kindes“ ablehnt, macht er damit nur von seinem Recht Gebrauch, den Aufenthalt des Kindes mitzubestimmen. Aber er bestimmt damit auch über den Aufenthaltsort der Mutter.

Für das gemeinsame Sorgerecht als Regelfall wird in der Öffentlichkeit mit dem Argument geworben, es diene dem „Wohl des Kindes“, denn ihm bleibe damit der „Vater erhalten“. Vieles spricht aber dafür, daß dem Kind damit keineswegs der Vater automatisch erhalten bleibt, denn umfangreiche Untersuchungen haben gezeigt, daß Väter mit gemeinsamem Sorgerecht den Kontakt zu ihren Kindern genauso häufig abbrechen und nicht bereitwilliger Unterhalt zahlen als andere Väter. Es gibt keine einklagbare „Sorgepflicht“, kein Recht des Kindes auf fürsorgliches Verhalten seines Vaters. Erhalten bleibt den Kindern, wie viele Psychologen bereits erkannt haben, meist nur der elterliche Dauerkonflikt. Ihre Lage wird schwieriger, nicht leichter.

Staatlich verordnetes gemeinsames Sorgerecht zum Wohl des Kindes – oder zu wessen Wohl? Gunhild Gutschmidt

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