: Wo bleiben die Alternativen?
■ Italiens Linke bewältigt lieber die Vergangenheit als die Gegenwart
Zu den skurrilen Eigenarten der Diskussion der Linken gehört, daß sie trotz des nun fast schon anderthalb Jahre währenden Aufstiegs der Rechten nicht im Traum daran denkt, ein Alternativprogramm zur Regierung zu präsentieren, sich auf mögliche Neuwahlen vorzubereiten oder auch nur anzudeuten, warum denn die Bürger Links bevorzugen sollten. Bei den Linksdemokraten herrscht staatstragende Leere, bei den Nostalgikern der Rifondazione communista überwiegend die neue Lust an alter Opposition. Und die Vordenker der Linken? Sie bewältigen die Vergangenheit – nicht etwa die eigene, sondern die der Großväter, jener Leute, unter denen der erste Faschismus ausgebrochen war. Forum dafür ist Il manifesto. Dort eröffnete Ende November der Blatt- Mitbegründer und mehrmalige linksunabhängige Abgeordnete Luigi Pintor eine Debatte unter dem Titel „Der zurückgekehrte Faschismus“.
Darin beklagt Pintor zunächst, daß die Zeitung mit ihren Warnrufen vor einem Jahr – als sich Neofaschisten bei Bürgermeisterwahlen auf mehr als 40 Prozent hochhangelten – mehr Gehör fand als heute, wo Pintor die nächste Phase der Rückkehr verwirklicht sieht. Den meisten erscheine die Rede von der Rückkehr des Faschismus nur mehr als „herbeigezerrter Historizismus“ – und dabei übersähen sie, wie parallel die Entwicklungen doch abliefen. Denn der klassische Faschismus habe sich nicht, „wie bürgerliche Historiker gerne glauben machen, als Reaktion auf den Kommunismus entwickelt“, sondern als Gegenpol „des bißchen Demokratie, die sich seinerzeit entwickelt hatte“. Genauso sei der heutige Neofaschismus als eine Reaktion auf die demokratischen Impulse zu sehen, die das Ende des christdemokratischen Regimes einleiteten.
Derlei Behauptungen riefen den Nestor der italienischen Gesellschaftstheoretiker auf den Plan, den achtzigjährigen Norberto Bobbio. Pintors Behauptung, daß der Faschismus mehr gegen die keimende Demokratie als gegen den Kommunismus kämpfe, stelle nur die halbe Wahrheit dar. Tatsächlich, so Bobbio, hätten die Faschisten weniger die Demokratie angegriffen als „deren Unfähigkeit, den Kommunismus auszuschalten“. Was die bürgerliche These einer ursprünglichen Dialektik von Bolschewismus (der 1917 in Rußland siegte) und Faschismus (der 1922 zuerst in Italien die Macht ergriff) bestätigen würde. Die Antwort ließ nicht auf sich warten: Rossana Rossanda fuhr Bobbio in die Parade: „Was redet denn der zusammen“, schrieb sie auf Seite 1, „soll der Faschismus etwa unsere Schuld sein?“ Wenn sich Faschismus und Kommunismus bedingten, dann müßten beide in demokratischen Systemen gleicherweise aufbaubar gewesen sein – das aber sei nicht der Fall. Demokratien seien stets anfällig für den Faschismus gewesen, nie für den Kommunismus. In Frankreich gab es 1934 keinen Kommunismus, in Spanien nicht und sonst auch nirgends. Überall neigten die Bürger den Faschisten zu: „Selbst in Chile erhob sich der Faschismus nicht gegen ein kommunistisches Regime, sondern gegen den demokratischen Präsidenten Allende.“ Das freilich, so bemerkten andere, ließe sich bequem wieder umkehren – tatsächlich hatte die Rechte in Chile mit der Furcht vor dem, „was links entstehen kann“, Konsens geschaffen.
Am Ende der Debatte griff noch einmal Pintor ein – um zu beklagen, daß ausgerechnet Norberto Bobbio jener These der Dialektik zwischen Kommunismus und Faschismus „kulturelle Glaubwürdigkeit verleihe“. Das ängstige ihn sehr. Von Alternativen, die die Linke der Rechten nach ihrer Blamage entgegensetzen wollte, ist weiterhin nichts zu erkennen.
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