: Unorte: Engelsgeflügel Von Claudia Kohlhase
Das ist aber auch ein Geflügel, diese Engelchen. Jaja, die Engelchen. Die sind doch wirklich das Allerschönste. Und fliegen nicht weg. Und bimmeln so allerliebst. Oder tuten und blasen. Wer kein Instrument hat, singt. Vermutlich wie der Tölzer Knabenchor oder diese anderen Knaben aus Salzburg oder war's Wien, jedenfalls jubilierend. Und wenn auch ein Engel nichts tut, ist er ein Engel, das macht doch nichts.
Die beiden Verkäuferinnen in der Weihnachtsverkaufsausstellung können ihre Engel auswendig und wissen, daß es nicht nur an der Größe der Flügel liegt, ob einer in die Herzen der Kundschaft fliegt oder eben nicht. Es ist dieser Gesichtsausdruck. Ein Ausdruck, der von weit herkommt oder von oben. Trotzdem, nichts gegen die anderen Engel, etwa die, die statt nach oben nach unten kucken, was soll denn da sein, fragt sich da die eine trotzdem schon mal unwillkürlich. Engel sind, das muß klar sein, mit Abstand zu würdigen, scharfe Kontrolle tut da not. Keine Sorge, das sieht man, wer nicht würdigt. Zweite Abmahnung bei Anfassen.
Seit dreizehn Wochen geht das schon so: mit den beiden Verkaufsdamen und ihren persönlichen Pappenheimern, den Engeln. Seit dreizehn Wochen nur geringfügiger Reibungsverlust an Huldigung und Ehrfurcht. Das liegt vielleicht am fachfremden Vorleben, aus dem die Damen entliehen sind. Damals, als man einerseits noch Krankenschwester war, da war noch alles ein Elend und ein Alptraum. Mein Gott, diese Stimmung immer kurz vorm Tod. Hier endlich ist alles eitel Leben und von einer Atmosphäre! Wie im Wunderland. Der Mensch soll sich's doch nett machen! Von selbst kommt ja im Grunde nichts Nettes, also muß man das herstellen. Was da höchstens kommt, sind doch Heiligabendmorgen nur die schuldbewußten Söhne und Töchter und wollen noch schnell einen Engel für die gute Mutter. Als wenn das dann noch ginge.
Es gibt seltsame Zeiten, da überläßt sich die eine der beiden, die hier erst seit fünf Jahren aushilft und damals bloß Hausfrau war, einer Art unbefugten Regung und stellt für ein Weilchen den Tölzer Engelschor vom Band ab. Und nachts hat sie neulich geträumt, daß sie in den Himmel kommt, und da war keiner. An jenem Morgen kam sie äußerst pünktlich an ihren Arbeitsplatz und ordnete die gesamten Grünheinichenengel neu. Wie: Ich kenne die Grünheinichenengel nicht!? Mein Gott! Das sind doch diese klitzekleinen mit den Punkten auf dem Flügel! Diese unwahrscheinlich niedlichen mit den 13 Punkten auf jedem Flügel! Und kein Punkt weniger! Sollen wir mal zählen, ruft scherzhaft Frau M., aber niemand kommt hier auf 13, sondern immer nur auf 11. Und kein Punkt mehr. Komisch, das. Und warum immer 11 und nicht auch mal 12? Für einen unkontrollierten Moment gerät die Haltung in die Schieflage. Sollte auf Engel kein Verlaß mehr sein? Gerade auf die Grünheinichenengel? Wegen denen Horden von Männern alle Jahre wieder hierherkommen! Wie: Männer wegen Grünheinichenengeln? Selbstverständlich. Scharenweise heimlich. Wahrscheinlich Sammler. Wahrscheinlich wegen dieser unglaublich zuverlässigen Niedlichkeit. Wo hat man das heute noch? Und das kleinste schon für 31 Mark. Und fliegt nicht weg, wie gesagt, obwohl es Flügel hat.
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