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Die tödlichen Kaffeetassen

■ Riesenerfolg für Adriana Hölszkys „Bremer Freiheit“ im Theater am Goetheplatz

Hundert Vorschriften zu den Klangfarben zwischen Sprechen und Singen müssen die SängerInnen von Adriana Hölszkys „Bremer Freiheit“ befolgen. Für die fünfzehn Streicher und Bläser gilt Ähnliches: eine Riesenherausforderung für ein Stadttheater, gleichzeitig eine Pflicht und eine Selbstverständlichkeit, denn es darf nicht angehen, daß die Realisierung von zeitgenössischem Musiktheater der fixen Idee von Intendanten, Dramaturgen und Dirigenten zu verdanken ist. Die anteilige Produktion gehört einfach zum Leistungskanon der subventionierten Theater, und das immer wieder vorgebrachte Nichtargument, das Publikum wolle derartiges nicht hören, fällt zusammen, wenn durch höchsten künstlerischen Einsatz und vor allem Kontinuität neue und überregionale Kreise ins Theater gezogen werden.

Genau dies könnte geschehen mit der hochambitionierten Produktion der „Bremer Freiheit“, der man nach dem Premierenabend einen großen Publikumserfolg voraussagen kann. Nun ist das Thema selbst sozusagen populär: die Geschichte der Giftmörderin Gesche Gottfried, die 1831 auf dem Bremer Domshof enthauptet wurde, kennen sicher alle BremerInnen, zudem wird die Inszenierung ergänzt durch eine informative Ausstellung über die historische Gesche.

Nun gehen weder Thomas Körner, der das Libretto nach gleichnamigen Schauspiel von von Rainer Werner Faßbinder geschrieben hat, und schon gar nicht die Komponistin gradlinig vor: Hölszky interessieren an der Aneinanderreihung der Morde an Männern, Frauen, Kindern weder die Motive, noch die Kriminalität der Gesche. Sie vermeidet Schuldzuweisungen sowohl an die männliche Gesellschaft als auch an Gesche als eiskalte Mörderin und macht damit eine Opfer-Täter-Dialektik auf, die allerdings emotionale Identifikationen nicht zuläßt. Und so gibt es auch keine Vertonung des Textes illustrativer Art in traditionellem Sinn. Sondern die akustischen Klangwanderungen – ein Ausdruck der Komponistin – entsprechen den Kräftebewegungen der Gesche und der Kräfte, die auf sie einwirken: alle Sprach- und Aktionsebenen sind miteinander verknüpft.

Hier liegt ein Problem dieser Aufführung, der zweiten nach der Uraufführung (1988) am Stuttgarter Staatstheater: Es gibt ein Zuspielband, durch das permanent alle Personen anwesend sind, das Publikum wird in diesen Kreis miteinbezogen, schaut und hört sozusagen zurück und nach vorne. In dieser Aufführung ist dieses strukturell wichtige Band kaum zu hören, ebenso wie der Choral, der die Bilder unterbricht: „Welt ade, ich muß Dein lassen“. Istvan Denés steuert die Instrumentalisten des Philharmonischen Staatsorchesters eher eifrig als sonderlich kompetent durch die Partitur, die grenzenlose Phantastik von Hölszkys Klängen bleibt zu sehr reduziert auf eine Untermalungsebene des Textes. Da aber im Rahmen der Möglichkeiten ungemein engagiert gearbeitet wurde, dürfte sich das mit den nächsten Aufführungen bessern.

Die Regie von Rosamund Gilmore setzt dem Spielerischen, dem Buffonesken, dem strikt Antipsychologischen einen prallen und deftigen Realismus entgegen, einen allerdings, der auch schon wieder ins Skurrile kippt: So, wenn die letzten Bilder alle in einer Leichenhalle spielen, in denen Leichenwäscher um blutüberströmte Leichen herumschlürfen. Die Personen werden krass gezeichnet, Gilmore gelingt das Kunsttück, die Fürchterlichkeit der Aktionen – sowohl der Vergewaltigungen als auch der Morde – ebenso darzustellen wie deren gleichzeitige Absurdität. Gut aufgehoben ist diese Gratwanderung in der Bühne von Carl Dietrich Oberle, die den Raum vorne mit Grabhügeln begrenzt, auf denen immer wieder die dampfende Kaffekanne steht, aus der Gesche ihre tödlichen Tassen verteilt.

Katherine Stone als Gesche deckt eine emotional reiche Palette ab, versteht vor allem, die verletzte Sehnsucht der Gesche immer wieder ins Blickfeld zu rücken. Erwin Feith als zynischer Gottfried, Antony Ransome als plumper Miltenberger und Karsten Küsters als brutaler Vater Timm seien hier stellvertretend für das treffliche Männerensemble genannt, das durch Eva Gilhofer als moralinstanzhafte Mutter und Anu Komsi als anpasserische Luisa gut ergänzt wird: ein spannender Theaterabend! Ute Schalz-Laurenze

Die nächste Aufführung: 29.12.94

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