piwik no script img

■ ÖkolumneKlumpungen Von Thomas Pampuch

Die Zeit verlangt nach Besinnung. Lösungen sind gefragt, langfristige, nachhaltige. Doch woher nehmen, wo anfangen? Meistens reicht es nur für die kleinen Fluchten. Manchmal will einer nur weg und die Sorgen zu Hause lassen. So eindringlich schallen uns um diese Zeit die Ermahnungen um die Ohren, daß viele schon vor Weihnachten das Weite suchen. LTU reibt sich die Hände, auf Gomera, den Kanaren insgesamt, auf Sansibar, den Malediven und was es der Trauminseln noch so gibt, ist der Teufel los. Der Weihnachtsfluchttourismus boomt, nie war es so einfach wie heute, zum Innehalten in würdige und schöne Gegenden zu brausen.

Kein böses Wort hier gegen Weihnachtsurlaub im Süden. Die Zahl derer, die zu Recht schon Mitte Dezember dafür reif sind, ist im Steigen. Wer wollte etwas dagegen haben? Mehr Platz für die Daheimgebliebenen, Arbeit und Brot für Guanchen, Kariben und ihre Nachfolger; von white christmas läßt sich auch – und schöner – am Strand träumen. Daß auf all den Inseln dadurch massierte deutsche Klumpung auftritt, weiß jeder vorher, der dorthin fährt. Darüber zu mosern ist etwa so, als jammere man darüber, daß vor der Mona Lisa im Louvre immer so viele Leute stehen. Wir müssen ja nicht. Wenn wir's also tun, dann gefälligst klaglos. Wir treffen nicht überall Touristen, wir sind Touristen.

Doch Besinnung schadet nicht. Daß das massenhafte Gedüse auf die Inseln – wie überhaupt jeder Tourismus – ökologisch wie kulturell ein arges Problem darstellt, auch das weiß jeder, der das winterliche Europa unter sich läßt. Aber wir können's nicht lassen. Wir gieren nach dem Unberührten und nach Natur, wir wollen Sonne, Luft und Strand und dazu ein echtes Fischerdorf, wir wollen den Drachenbaum, den betörenden Duft des Baumstechapfels, die Robbe, den Kolibri, das Dromedar.

Das größte Geschäft der Welt heißt Reisen. Es ist zu einer Lieblingsbeschäftigung der Deutschen geworden, und die Wiedervereinigung hat den Markt noch einmal kräftig angeheizt. Der Fern-Boom leistet sogar Hilfsdienste für andere, notleidende Branchen: Was wären viele unserer großen und kleinen Verlage ohne Reiseführer aller Art, ohne Bildbände und Länderkunden, Nachdrucke klassischer und moderner Entdecker? Jeder sein eigener Marco Polo, Alexander von Humboldt, Bruce Chatwin. Und sage niemand, wir würden nicht auch mitdenken. „Der Neue Tourismus“, „Sympathie-Magazin: Karibik verstehen“, Sanftes Reisen, Kulturgeschichte des Reisens, die Besinnung reist immer mit im Handgepäck.

Was tun gegen den Reisefimmel? André Heller machte vor einiger Zeit den Vorschlag eines „Replika- Territoriums“, also eines synthetisch reinen Tourismuslandes, das all das beinhaltet, was die Tourismus- Industrie als Köder verwendet: Eiswüsten neben aktiven Vulkanen, elektronisch gesteuerte Atlantik-Brandung neben provenzalischen Lavendelfeldern, Tiefschneeabfahrten neben tahitianischen Transvestitenbordellen. Das Ganze irgendwo auf der Größe der Schweiz zusammengefaßt als Joint-venture unter Leitung einer Welttourismusbehörde. Und der Rest der Welt hätte Ruh.

Kein schlechter Vorschlag auf den ersten Blick. Verräterisch aber, daß Heller, nachdem er das alles so schön entworfen hat, dann noch schnell auf die “radikale Minderheit“ zu sprechen kommt, zu der – natürlich – auch er sich zählt. Die könnte nach umfassendem Studium und strengen Prüfungen ein allgemeines Reisepatent erwerben. Lediglich diese, die Eigenheiten der jeweiligen Gastländer liebevoll achtenden Privatgelehrten dürften dann noch reisen und würden damit die einzigen, die „in Zukunft einen Begriff von der tat-Foto: Annette Huller

sächlichen Beschaffenheit unseres Sterns haben“.

Keine Lösung, Heller, auf den Dreh sind inzwischen zu viele gekommen. Auch die liebevollen Privatgelehrten sind ein Massenphänomen geworden. Und reisend erkennen sie, daß die tatsächliche Beschaffenheit unseres Planeten eben genau darin besteht, daß man überall über seinesgleichen stolpert. Die Kunstschweiz genügt nur denen, die das nicht stört (und die damit vielleicht gar nicht so blöd sind, wie Heller meint). Wir andern aber brauchen die Klumpung von unseresgleichen anderswo, um aufzuwachen. Vielleicht liegt ja ein tiefer Sinn darin, daß dem Reisenden die Reise heute immer mehr zu Delikt und Strafe in einem gerät.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen