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Seit gestern gibt es in Belgrad zwei „Borbas“

■ Journalisten der unabhängigen Zeitung wehren sich gegen Gleichschaltung

Belgrad (AFP/taz) – Die Redaktion der unabhängigen Belgrader Tageszeitung Borba (Kampf) widersetzt sich den Repressionsversuchen der Regierung Rest-Jugoslawiens. Die Journalisten weigerten sich am Wochenende fast geschlossen, mit dem am Freitag von der Regierung als Direktor des Blattes eingesetzten Informationsminister Dragutin Brcin zusammenzuarbeiten. Rund 50 Mitarbeiter lehnten es ab, die Redaktionsräume zu verlassen. Trotz Verbots erschienen zwei Sondernummern der Zeitung. Gestern war gleichzeitig aber auch eine Borba-Ausgabe im Handel, die unter der Regie Brcins hergestellt worden war. Der 42jährige Minister gehört zur Führung der Sozialisten von Serbiens Präsident Slobodan Milošević und war Teil der kommunistischen Nomenklatura.

Unterstützt wurde der Protest der Journalisten auch von einem Belgrader Gericht. Dieses erklärte das Vorgehen der Regierung für „illegal“, sie habe mit dem Versuch, das Blatt zu übernehmen, in Kompetenzen des Parlaments eingegriffen. Allerdings hatte dasselbe Gericht auch dem bisherigen Herausgeber vorgeworfen, keine Lizenz für die Veröffentlichung zu besitzen. Juristen sind daher der Ansicht, daß derzeit niemand namentlich befugt ist, die Zeitung herauszugeben. Die Regierung hält 17 Prozent der Borba-Anteile.

Beobachter sehen die Berufung Brcins an die Spitze der einzigen unabhängigen jugoslawischen Tageszeitung als Teil einer großangelegten Operation von Milošević, die Kontrolle über die unabhängigen Medien des Landes zu erlangen. Die Zeitung, deren Auflage nach eigenen Angaben rund 35.000 Exemplare beträgt, hatte sich den Ruf erworben, Milošević kritisch gegenüberzustehen. Wegen angeblicher Papierknappheit mußte Borba die Seitenzahl im Verlauf des Jugoslawien-Konfliktes so bereits um die Hälfte reduzieren.

Zahlreiche Sympathisanten von Borba, darunter Intellektuelle und Oppositionspolitiker, fanden sich zum Schutz gegen Repressionsmaßnahmen der Regierung während des Wochenendes in den Redaktionsräumen der Zeitung ein. Während die Borba-Ausgabe der Redaktion von freiwilligen Helfern in den Straßen Belgrads vertrieben wurde, war die Fassung Brcins an den Kiosken im Handel. Diese inhaltlich völlig unterschiedliche Version bestand vorrangig aus namentlich nicht gezeichneten Artikeln. Die Sondernummer vom Sonntag beschäftigte sich dagegen zu drei Vierteln mit dem als „Staatsstreich“ bezeichneten Vorgehen der Führung in Belgrad.

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