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Grazie ist schnuppe

■ Kampnagel: „Satierikon“ von der MicroOper München

Wozu braucht eine Pianistin solche Armmuskeln? Das ist die erste Frage, die sich der Zuschauer stellt, wenn Sabine Liebner die Bühne betritt. Mit rastaartigem Zopffilz auf dem Haar setzt sie sich auf den Fußboden, in mittelalterliche Kleidfetzen gehüllt, und wartet, bis der Flügel zu ihr gerollt kommt. Ihr Fuß tippt galant aufs Pedal, und dann bequemt sie sich zu spielen – in der unbequemsten Haltung, die je ein Mensch erfunden hat. Einen Meter unter dem Klavier kauernd, hebt sie ihre Arme auf die Tasten, und – tatsächlich – es erklingen die Gnossiennes von Eric Satie. Doch es kommt noch schlimmer. Das Tastatur-Ende wird zur Ballettstange, auf der sie ihr Bein dehnt – während sie selbstverständlich weiterspielt. Das ist olympisches Musizieren.

Was Peter Baer sich mit den Darstellern der MicroOper München ausgedacht hat, ist eine gelungene Aktualisierung der – immer auch szenischen – Musik von Eric Satie. Schließlich ironisierte der Komponist die gängige abendländische Konzertmusik bis an den Rand der Glaubwürdigkeit. Nie ist man sicher, ob er es ernst meint. Wie etwa soll man die Drei Stücke in Form einer Birne spielen? Oder die Anweisung „sich selber von der Ferne sehen und auf sich zukommen“ in die Töne mit einfließen lassen? Satie war mit den Dadaisten befreundet. Aber er war auch ein Bewunderer des Impressionisten Debussy, der Satie wiederum als „sanften, mittelalterlichen Musiker“ bezeichnete, der sich „in dieses Jahrhundert verirrt hat“.

Diese Musik erklingt bei der MicroOper München vortrefflich. Da macht es auch nichts, wenn der Zuschauer bald nicht mehr begreift, in welchem der Stücke aus drei Jahrzehnten Satie er sich gerade befindet. Sängerin Cornelia Melián durchdringt mit ihrer Stimme den Raum mit gläserner Schärfe, egal ob sie ausgestreckt am Boden liegt, im Streitwagen auf und ab gefahren wird oder durch ein Loch im Himmel herabschwebt. Oder auf dem Flügel herumturnt und die Geschichte singt: „Der ,a' (gellender Schrei) hat eine schreckliche ,a' von der schleichenden ,a'.“ Verzweifelt umklammert sie das Pia-nobein, doch die dicken Götter schleifen sie fort. (Die griechischen Götter als meinungslose Möbelpacker: Michael Wüst und Thomas Oswald.)

Ein wundervoll lächerlicher Tänzer (Eric Saouli) mit rotem Federnröckchen vor den Genitalien und knallroter Schwimmweste um die entblößten Schultern bietet dem Publikum vereinzelte Posen aus der Ballettgeschichte (Kostüme und Bühne: Monika Schübl). Doch auch er muß, so die Götter es verlangen, die Szene vorzeitig verlassen. Mitten in der schönen Arabesque wird er von seinem Befehlshaber an der Ferse erwischt und muß ihm einbeinig hinterherhüpfen.

„Grazie ist mir völlig schnuppe“, soll der Komponist gesagt haben. „Meine Musik braucht Übertreibung! Eine Frau eher wie ein Zebra als wie eine Hirschkuh.“ Hier hätte er sie gefunden.

Gabriele Wittmann

K4, 20 Uhr, bis 29. 12.

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