: Darf Schreyer keine Senatorin werden?
Der alten Rotation sei Dank: Vor allem die Promis unter den grünen Abgeordneten können zu den Wahlen 1995 nicht wieder kandidieren / Das urgrüne Prinzip soll jetzt gekippt werden ■ Von Dirk Wildt
Der Berliner Landesverband von Bündnis 90/Die Grünen gilt immer noch als einer der aufmüpfigsten. In den 80er Jahren war die damalige Alternative Liste (AL) durch die Häuserkampfbewegung groß geworden, und die massiven Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht prägten das Verhältnis zu dieser Republik weit ablehnender als in anderen Winkeln des Landes. Aufmüpfig zeigte sich der Landesverband erst vergangene Woche wieder, als er sich entgegen der Linie des Bundesverbandes öffentlich Gedanken über eine Koalition mit der PDS machte.
Doch ein basisdemokratisches Dogma soll jetzt auch in Berlin gekippt werden – die Rotation. Die geltende und zum Teil unklare Regelung würde nämlich für die meisten der zwanzig bündnisgrünen Abgeordneten im jetzigen Parlament das Ende ihrer parlamentarischen Karriere bedeuten. Michaele Schreyer zum Beispiel dürfte keine Senatorin mehr werden.
Der Geschäftsführende Ausschuß (GA), das höchste Gremium zwischen den Parteitagen, machte sich bereits auf einer sonntäglichen Klausurtagung Mitte Dezember Gedanken über den Paragraphen 7 der Parteisatzung. Die hier festgeschriebene „Rotation“ verbietet Mitgliedern, in vier aufeinanderfolgenden Legislaturperioden einem Parlament häufiger als zweimal anzugehören. Dabei stehe die Mitgliedschaft in Regierung, Bezirksamt, in Aufsichtsräten und auch die Funktion als Staatssekretär der Mitgliedschaft in einem Parlament gleich. Diese Regelung hat weitreichende Folgen. Nicht nur, daß Abgeordnete wie Michael Cramer, Bernd Köppl, Renate Künast oder Sybille Volkholz nicht mehr kandidieren dürften, weil sie bereits in der letzten Legislaturperiode unter Rot-Grün politische Ämter ausgeübt haben. Reimund Helms und Wolfgang Wieland müßten auf eine Kandidatur verzichten, weil sie 1987 und 88 Mitglieder des Abgeordnetenhauses waren, obwohl sie damals nach der alten, konsequenteren Regelung bereits nach zwei Jahren rausrotierten.
Mit Paragraph 7 herrscht bei den Bündnisgrünen allgemeine Unzufriedenheit – offiziell nicht, weil er die Rotation vorschreibt, sondern weil Fragen offenbleiben. „Was heißt zwei Legislaturperioden?“ fragt sich Landesgeschäftsführer Norbert Schellberg. Sollen die nach anderthalb Jahren abgebrochene Periode von Rot-Grün und die sieben Monate währende Ostberliner Stadtverordnetenversammlung als jeweils ganze Periode gelten? Und damit der fünfjährigen Amtszeit der jetzigen Abgeordneten gleichgesetzt werden? Und wie sollen die Nachrücker behandelt werden, Albert Eckert oder Hartwig Berger etwa, die diesmal keine komplette Amtszeit haben, aber zum zweiten Mal auf Parlamentssesseln sitzen?
Nach dem „momentanen Stand der Meinungsbildung im Geschäftsführenden Ausschuß“, sagt Schellberg, soll einer Landesdelegiertenkonferenz am 21. Januar folgende Empfehlung gegeben werden: Wer früher nach zwei Jahren rausrotiert sei, dem dürfe keine komplette Legislaturperiode angerechnet werden; Nachrückern, die länger als eine halbe Periode im Parlament sitzen, soll eine komplette in Rechnung gestellt werden; die von Rot-Grün abgebrochene Periode soll als ganze gelten; die sieben Monate Stadtverordnetenversammlung sollen ebenfalls als ganze Periode gelten. Wobei die Landesdelegiertenkonferenz „großzügig“ mit den Bündnis-Leuten verfahren solle, die Stadtverordnete waren, rät Schellberg. Nach Satzung können Parteimitglieder nämlich von der Rotationsregel ausgenommen werden, wenn zwei Drittel der Landesdelegiertenkonferenz oder eine Mitgliedervollversammlung dem zustimmen.
Tatsächlich aber geht es bei der Debatte um die Rotation nicht nur um Formalien. In der Fraktion gibt es massive Interessen, die parlamentarische Arbeit auch nach der Wahl im kommenden Herbst fortsetzen zu können. Schließlich fehle es an qualifiziertem Nachwuchs, sagt ein Abgeordneter hinter vorgehaltener Hand. Es wäre nicht zu rechtfertigen, wenn Michaele Schreyer nicht wieder Senatorin werden dürfte. Die heutige haushaltspolitische Sprecherin galt unter Rot-Grün als beliebte wie durchsetzungsfähige Umweltsenatorin. Doch die scheinbar einleuchtende Argumentation dieses Rotationsgegners verliert an Überzeugungskraft, sobald man weiß, daß er selbst wieder ins Abgeordnetenhaus einziehen möchte.
Dem Geschäftsführenden Ausschuß liegen bislang noch keine offiziellen Bewerbungen für die Nominierung zur Abgeordnetenhauswahl vor. Doch inoffiziell gibt es längst Listen. „Ich habe 49 Bewerber gezählt“, sagt ein Insider, der nicht zur Fraktion zählt. Nach derzeitigen Wahlumfragen hätte eine neue Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aber wieder nur um die zwanzig Posten zu verteilen. Bewerber außerhalb der Fraktion haben also ein besonderes Interesse an einer strengen Handhabung des Paragraphen 7 der Satzung, kann man mit dem Parteistatut doch die Zahl lästiger Konkurrenten verringern.
Wie unübersichtlich das Geflecht von Interessen und Argumenten werden kann, zeigte der innerparteiliche Streit im April dieses Jahres. Vorwiegend Westmänner wollten auf dem Nominierungsparteitag für die Bundestagswahl die Ost-West-Frau-Mann- Quotierung kippen. Der umstrittene Bündnis-Mann Gerd Poppe auf dem aussichtsreichen Listenplatz 2 sollte im Ergebnis gegen den Alt-ALer Christian Ströbele ausgewechselt werden. Zwar wurde damals eher mit formalen Begründungen gegen die Quote argumentiert, doch ob nicht letztendlich Poppe mit seinem Werben für eine militärische Intervention in Bosnien aus politischen Gründen demontiert werden sollte, war nicht mehr zu unterscheiden.
Weil die Satzung wenig hergebe, „sind wir in eine mißliche Lage geraten“, räumt Fraktionschef Wolfgang Wieland ein. Die Empfehlung des Geschäftsführenden Ausschusses an die Basis sei unverbindlich, die Interpretation der Rotationsregel „interessenabhängig“. Die beste Zeit für eine Regelung weit weg vom Wahltermin im Herbst 95 wäre die Fusion mit dem Bündnis 90 gewesen. „Aber das haben wir verpaßt“, so Wieland. Da auch die Empfehlung mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden müßte, sei er skeptisch, ob eine Änderung der Satzung durchsetzbar ist. Wieland, der sich noch nicht entschieden haben will, ob er erneut kandidiert, hat bei den bevorstehenden Machtkämpfen deshalb eine Sorge: „daß die Fraktion bis zum Wahltag arbeitsfähig bleibt“.
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