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Gegen die Kleinen

■ Industrie- und Handelskammer erhöht Beiträge für kleine Unternehmen / Harsche Kritik an Zwangsmitgliedschaft

Starke Worte findet Matthias Hirsch, Besitzer eines kleinen Kopier- und Fotogeschäfts, in seinem Brief an die Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK). „Raubrittertum und Wegelagerei“ wirft der Händler vom Tempelhofer Damm der Wirtschaftsvertretung vor. Denn die Kammer hat seit Anfang diesen Jahres eine neue Berechnung ihrer Mitgliedsbeiträge eingeführt. Matthias Hirsch soll seither 160 Mark bezahlen, während er früher umsonst davonkam. Das treibt ihn auf die Palme, obwohl ihm für nicht mehr als 13 Mark monatlich das umfangreiche Service-Angebot zur Verfügung steht. Hirsch hat sich also entschlossen, den Beitrag zu boykottieren, was die Kammer zur Zeit noch widerspruchslos hinnimmt.

Der Fotohändler ist nicht der einzige, der sich beschwert. Nach einem Beschluß des Bundestages von 1992 müssen sämtliche Kammern bundesweit ihre Beitragsrechnungen umstellen. Deswegen gehen in allen 83 Bezirken der deutschen Industrie- und Handelskammern Protestbriefe ein. Früher waren die meisten Kleinunternehmen von der Beitragszahlung freigestellt, und im wesentlichen kamen die kapitalkräftigen Aktiengesellschaften und Konzerne für den Haushalt auf. Auch in Berlin bestritten 15 Prozent der Unternehmen etwa 85 Prozent der Ausgaben, wie Erich Lange von der IHK schildert. Das wollte die Großindustrie nicht länger mitmachen: Nach einer Klage entschied das Bundesverwaltungsgericht 1990, daß die Beiträge in Zukunft gerechter verteilt werden müßten. Ergebnis: Von einigen Härtefällen abgesehen, sollen jetzt alle Berliner Unternehmen, seien sie auch noch so klein, mindestens 150 Mark pro Jahr bezahlen. Wenn der Betrieb pro Jahr mehr als 15.000 Mark Gewinn erwirtschaftet, kommt noch eine Umlage hinzu. Wegen der neuen Berechnung steigen für kleine Unternehmen die Beiträge mitunter um mehrere hundert Prozent, während die Großindustrie weniger Geld bezahlt.

Schwierigkeiten hat die Berliner IHK unter anderem mit dem Taxigewerbe. Die vielen selbständigen Unternehmer, die oft nur ein Taxi betreiben, stöhnen, weil das Geschäft zur Zeit ohnehin nicht gut läuft. Außerdem, entrüstet sich Elisabeth Sperling vom Taxiverband Berlin, „hat die IHK mit dem Gewerbe überhaupt nichts zu tun. Wir merken nichts von denen.“ Beratung und Service nähmen die Taxifahrerinnen nicht in Anspruch, die Verkehrspolitik mache der Senat. Also müßte der Mitgliedsbeitrag auf 50 Mark gesenkt und die Gewinngrenze, von der an er fällig wird, erhöht werden.

Kaum jemand würde sich jetzt so aufregen, wenn die Unternehmen frei über ihre Mitgliedschaft entscheiden könnten. Doch dem ist nicht so. Alle rund 130.000 Berliner Industrie- und Handelsbetriebe, so IHK-Mitarbeiter Lange, sind nämlich automatisch Mitglieder der IHK, ob sie wollen oder nicht. Die Pflichtmitgliedschaft – manche sagen „Zwangsmitgliedschaft“ – ist gesetzlich geregelt, denn die Kammern nehmen als Körperschaften öffentlichen Rechts hoheitliche, vom Staat übertragene Aufgaben wahr. Dazu gehören die Abnahme von Berufsprüfungen und Ausstellung von amtlichen Außenhandelspapieren. Ferner solle die Kammer das „Gesamtinteresse“ der Wirtschaft vertreten, was ihr zum Beispiel gestattet, zum Berliner Flächennutzungsplan und anderen Senatsvorhaben Stellung zu nehmen. Und hier lauert der nächste Konflikt: Abhängig vom jeweiligen Thema, fühlt sich die eine oder andere Interessengruppe durch die Mehrheitsentscheidungen der IHK- Vollversammlungen nicht vertreten.

Fotohändler Hirsch zum Beispiel ärgert die Benennung des zukünftigen IHK-Geschäftshauses nach dem früheren CDU-Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard. Hirsch ist Mitglied der SPD. Außerdem widerspricht die Politik der Kammer bei der Aufweichung der strikten Ladenschlußzeiten seinen Interessen. Oft ist zu hören, daß sich die Stellungnahmen der IHK vor allem nach der Meinung der in der Vollversammlung vertretenen großen Konzerne richteten. Die Interessengegensätze sind offenkundig: Während die Manager von Daimler-Benz, Siemens, AEG und der mächtigen Kaufhausketten für den Bau eines neuen Großflughafens votieren oder den Magnetzug Transrapid ins Stadtzentrum schweben lassen wollen, können diese Großprojekte dem Drogisten an der Ecke ziemlich egal sein.

Vor dem Hintergrund der Beitragsdiskussion gewinnen jetzt Bemühungen neue Bedeutung, die Zwangsmitgliedschaft bei den Kammern abzuschaffen. Uwe Jens etwa, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, plädiert dafür, daß die Industrie- und Handelskammern sich künftig durch Gebühren finanzieren, die die Unternehmen für die jeweils von ihnen in Anspruch genommenen Dienstleistungen entrichten. Die Berliner IHK versuchte einstweilen, aus der Bredouille herauszukommen, indem auf der Vollversammlung Mitte Dezember über eine Staffelung der Grundbeiträge diskutiert wurde. Möglicherweise dürfen finanzschwache Firmen dann weniger bezahlen. Hannes Koch

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