: Endloser Kampf um die Macht
■ Vor 15 Jahren marschierte die Rote Armee in Afghanistan ein / Auch der Abzug brachte keinen Frieden
Berlin (taz) – In Afghanistan sind viele Menschen der Meinung, daß der Zerfall der Sowjetunion nicht etwa mit der Perestroika oder dem Putschversuch von 1990 begonnen hat, sondern schon mit dem Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan. Der Bruderkampf habe das kommunistische Weltreich untergraben.
Vor 15 Jahren, am 27. Dezember 1979, rollten sowjetische Panzer südwärts über den Grenzfluß Amu Darja nach Afghanistan. Nach wenigen Tagen war aus dem Staat am Hindukusch eine sowjetische Satrapie geworden. Doch bald sah die Welt, in welch ausweglose Situation das russische Heer geraten war. Mehr als zehn Jahre bekriegten die Mudschaheddin, ausgestattet mit Geldern und Waffen aus den westlichen und islamischen Staaten, die Besatzer. Mehr als eine Million Menschen starben im Krieg. Fünf Millionen, ein Drittel der Bevölkerung, flohen ins Ausland.
1990 kapitulierte die russische Weltmacht vor den afghanischen „Banditen“ und zog ihre Truppen zurück. Mohammad Nadschibullah, der afghanische Satrap Moskaus, hielt noch knapp zwei Jahre durch. Im März 1992 meldete Radio Kabul den „endgültigen Sieg des Islam über den Kommunismus“. Was nun folgte, stellte das Vergangene an Grausamkeit weit in den Schatten. In einem unerbittlichen Kampf um die Macht fielen die Mudschaheddin übereinander her. Seitdem sind in der Hauptstadt mehr Menschen gestorben als im zehnjährigen Krieg.
Im Bruderkampf von Kabul bekriegen sich zur Zeit vor allem die Anhänger drei verschiedener Führer: des paschtunischen Fundamentalisten Hekmatyar, des tadschikische Kommandanten Achmad Schah Massud, der die Regierungstruppen führt, und des Generals Raschidaddin Dostam. Dessen usbekischen Milizionäre kämpfen seit Herbst 1994 an der Seite Hekmatyars gegen den Stadtpräsidenten Rabbani und seinen Heerführer Massud. Während Hekmatyar von den südlichen Bergen aus Kabul beschießt, bombardiert Dostam die afghanische Hauptstadt aus der Luft. Er verfügt über den Hauptteil der von den Sowjets hinterlassenen Bombern. Die vierte Kriegspartei ist die schiitische, vom Iran unterstützte Gruppe Wahdat, zu deutsch: Einheit. Ihre Anhänger sind Hizara, Schiiten mongolischer Herkunft aus Zentralafghanistan. Sie bekämpfen von ihren Stützpunkten im Westen Kabuls aus die Regierung, vor allem aber die anderen schiitischen Gruppierungen, die nicht auf Teheraner Linie liegen. Formal haben sich die verschiedenen Rebellengruppen im sogenannten „Koordinationsrat“ zusammengeschlossen. Der Rat fordert den sofortigen Rücktritt Staatschef Rabbanis und die Abhaltung allgemeiner Wahlen.
Nicht nur in Kabul wird gekämpft, sondern in allen Provinzen des Landes. Längst ist Afghanistan ein geteiltes Land. Die regionalen Herrscher schalten und walten nach eigenem Gutdünken. Der Norden ist die Domäne des General Dostam, im Süden und Osten herrschen die örtlichen Herren und Stammesfürsten. Im Westen regiert der tadschikische Mudschaheddinführer Esmail-Bhan.
Den Weg zum Frieden kennt niemand in Afghanistan. Etwa ein Dutzend Friedenspläne der UNO oder der islamischen Staaten sind schon gescheitert. Und mehr als einmal haben die Mudschaheddinführer hoch und heilig ihre Absicht bekundet, dem Bruderkampf ein Ende zu machen. „Die meisten westlichen Regierungen haben Afghanistan während des Kalten Krieges mit Waffen und Militärgütern enorm ausgerüstet. Nun schweigen die gleichen Regierungen, wenn mit diesen Waffen unbewaffnete Zivilisten umgebracht werden“, heißt es in einer Erklärung von amnesty international. „Auch die muslimischen Staaten“, so ai weiter, „haben bislang wenig getan, um Mord und Folter in Afghanistan zu stoppen.“ Ahmad Taheri
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen