: Grüne Richter in roten Roben
■ An einigen Landesverfassungsgerichten sind die Grünen bereits vertreten, den Zugang zum Bundesverfassungsgericht sperren noch SPD und CDU/CSU
Karlsruhe (taz) – Eine Grüne im Bundestagspräsidium, Bürgerrechtler in der Geheimdienstkontrolle. Wie lange wird es wohl noch dauern, bis die einstige Außenseiterpartei auch im Allerheiligsten des Rechtsstaates, dem Bundesverfassungsgericht, Aufnahme findet?
„In Karlsruhe sollten alle relevanten gesellschaftlichen Grundströmungen vertreten sein, also auch die Grünen“, fordert Birgit Laubach, Justitiarin der neuen Bundestagsfraktion. Bisher war das Bundesverfassungsgericht jedoch ein geschlossener Klub von „Schützlingen“ der Altparteien. Die Ernennung der 16 RichterInnen erfolgte streng nach dem Proporzstrickmuster „eins links, eins rechts“.
Wo also ist die Lücke, in die die Grünen stoßen wollen? Im Jahr 1995 werden drei Richter altersbedingt ausscheiden: im Juli trifft es den jetzigen Vizepräsidenten Johann Friedrich Henschel, im Dezember folgen Ernst-Wolfgang Böckenförde (SPD) und Hans Hugo Klein (Union). Henschel kam als einziger der 16 RichterInnen auf Vorschlag der FDP nach Karlsruhe. Das läßt die Bündnisgrünen natürlich aufhorchen, werden sie doch nicht müde zu betonen, daß sie im Bundestag nach Union und SPD inzwischen zur drittstärksten Kraft herangereift sind. Doch wie so vieles bei der FDP ist auch dieser Richterstuhl nur von der Union „geliehen“. Und dort wird man derzeit noch wenig Muße verspüren, Sitze des konservativen Lagers an die Grünen weiterzureichen. Eine Lösung auf Kosten der SPD, wie bei der Besetzung des Parlamentspräsidiums, ist auch nicht möglich, denn statt mit einfacher Mehrheit muß ein Richter mit Zweidrittelmajorität gewählt werden. Also geht nichts ohne oder gar gegen die SozialdemokratInnen.
Wahlgremium ist nicht das Parlament, sondern ein nur ad hoc tagender Wahlausschuß mit zwölf Mitgliedern. Dieser wird im Januar nach dem Verhältniswahlrecht neu besetzt. Die Grünen haben also gute Aussichten, einen Wahlmann zu stellen. Ihr Kandidat ist der Amberger Richter Helmut Wilhelm, der in den letzten acht Jahren in Bayern als „Regional-Verfassungsrichter“ Erfahrung sammeln konnte. Doch wird Wilhelm in den kommenden drei Jahren nicht zum Zuge kommen. Denn das komplizierte Richterwahlrecht sieht vor, daß nur die Hälfte der VerfassungsrichterInnen vom Parlament zu wählen ist; die andere Hälfte entsendet der Bundesrat. Und wie der Zufall will, sind alle drei im kommenden Jahr zu besetzenden Richterstühle solche der Länderkammer.
Auf Länderebene aber sind die Karten der Grünen derzeit noch schlechter als im Bundestag. Sie sind lediglich in drei Landesregierungen Vertreten (Hessen, Bremen und Sachsen-Anhalt). Auch in der derzeit mit satter SPD- Mehrheit ausgestatteten Länderkammer ist für die Richterwahl eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Auch hier werden deshalb die KandidatInnen zwischen SPD und CDU ausgekungelt. Die „Findungskommission“ bilden die Ministerpräsidenten von Nordrhein- Westfalen und Thüringen, Johannes Rau und Bernhard Vogel.
Erst 1998 ist wieder der Bundestag dran, dann aber gleich vierfach. Es scheiden die RichterInnen Söllner, Graßhoff, Kruis und Seidel (zwei links, zwei rechts) aus. Auch dann werden die Grünen auf das Wohlwollen der Großparteien angewiesen sein, denn am Zweidrittel-Wahlrecht halten auch sie fest. Dabei müßte den Grünen ein Blick zu den Landesverfassungsgerichten zu denken geben: Bündnisgrüne Personalvorschläge fanden in den Landtagen bisher vor allem dann Berücksichtigung, wenn ein entsprechend breiter Proporz ausdrücklich oder stillschweigend vorgeschrieben war. Recht bunt und illuster ist die Liste der so in Amt und Würden gehievten Persönlichkeiten. In Brandenburg nominierte die Bündnisfraktion den wertkonservativen Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim. In Berlin stellte man die Asyl- und Ausländeranwältin Veronika Arendt-Rojahn auf. Und in Hamburg wurde auf GAL-Vorschlag die durch ihre Volkszählungsklage 1983 bundesweit bekanntgewordene Advokation Maja Stadler- Euler gewählt, bis zur Bonner Wende noch eine führende Hamburger FDP-Politikerin. Kommt es in Bremen zu Verfassungskonflikten sitzt der verhinderte Grundgesetzreformer Ulrich K. Preuß mit am Richtertisch. In Bayern fand dieser Tage sogar schon ein grüner Wachwechsel am Verfassungsgerichtshof statt: Auf den jetzigen Bundestagsabgeordneten Hubert Wilhelm folgte die feministische Anwältin Brigitte Hörster, bekannt durch ihr Engagement in den Memminger Prozessen um den Paragraph 218.
Ohne Proporzregel konnten grüne Wahlvorschläge dann durchgesetzt werden, wenn man sich gerade in Regierungskoalition mit der SPD befand. So in Hessen, wo der grüne Ex-MdL und Anwalt Roland Kern am Staatsgerichtshof plaziert werden konnte, und in Niedersachsen, wo die Grünen der SPD den inzwischen verstorbenen Gründer des Repbulikanischen Anwaltvereins, Werner Holtfort, schmackhaft machen konnten. Das unbequeme SPD- Mitglied war in Vorkoalitionszeiten von der SPD trotz regelmäßiger Vorschläge der Grünen immer abgelehnt worden.
Für die Grünen auf Bundesebene führen also nur drei Wege zu einem breiteren Pluralismus in Karlsruhe. Entweder sie erstreiten eine Änderung des Gesetzes oder der politischen Kultur, oder sie gehen in die Regierung. Christian Rath
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