: Harburger Gift-Monopoly
■ Auf diese Kippe können Sie bauen: Auf der „Bahnhofslinse“soll ein Dienstleistungszentrum rund um eine Mülldeponie entstehen Von M. Carini
Welche Gifte im Erdreich schlummern, weiß niemand ganz genau. Gebaut werden soll trotzdem um jeden Preis. Auf der sogenannten Harburger Bahnhofslinse soll ein modernes Dienstleistungszentrum samt Fernmeldeamt entstehen. Harburgs Bezirksamtsleiter Michael Ulrich träumt schon von 5000 neuen Arbeitsplätzen durch den Büroklotz. Doch genau im Zentrum des Plangebiets befindet sich tief im Erdreich das Laugen-Auffangbecken der früheren „Norddeutschen Chemischen Industrie“ - eine Altlast mit unbekanntem Gefahrenpotential.
Einzige Konsequenz aus dieser Tatsache: Das Geschäftsviertel an der bahnhofsnahen Schlachthofstraße soll in einem Abstand von zwanzig Metern um den Deponiekörper herumgebaut werden. Die mit Schutt und Erde abgedeckte Altlast wird zur Grünfläche, ihr Betreten aber bleibt verboten.
Um das Standortprojekt nicht zu gefährden, wollten Hamburgs Behörden-PlanerInnen offenbar bisher gar nicht so genau wissen, wie laut die unterirdische Chemie-Zeitbombe tickt. Statt den Deponie-Boden zu untersuchen, verließen sie sich auf bloße Einschätzungen des Gefährdungspotentials. Und die sind äußerst widersprüchlich.
So heißt es in einer internen Stellungnahme der Umweltbehörde von 1992 wörtlich: „Eine Sanierung der Deponie ist wegen des gering eingeschätzten Gefährdungsgrades auch später nicht vorgesehen.“ Kurios: In dem selben Schreiben dient die Gefährdung als Argument für die Absiedlung der auf dem Gebiet befindlichen Kleingärten: „Auch durch das Gefährdungspotential der vorhandenen Deponie“ sei diese „erforderlich“.
Weil die städtischen PlanerInnen statt zu analysieren nur einschätzten, ließ schließlich einer der heutigen Geländeeigentümer eine Grundwasserprobe analysieren. Ergebnis: Die Schwermetall-Konzentrationen lagen um 240 (Kupfer) bis 50.000 Prozent (Cadmium) über den Grenzwerten der Trinkwasserverordnung.
Inzwischen haben auch die Behörden das deponienahe Grundwasser untersucht. In einem internen Schreiben der Stadtentwicklungsbehörde vom August heißt es: „Nach neueren Untersuchungen ist das Grundwasser unter der Deponie in einer Tiefe von 2-22 m hoch mit leicht flüchtigen chlorierten Kohlenwasserstoffen belastet. (...) Möglicherweise sickern die Schadstoffe aus der Deponie.“ Die „Notwendigkeit einer Sanierung der Deponie“ könne deshalb „bisher nicht eingeschätzt werden“. Die aber könnte, wie Umbeltbehördensprecherin Ina Heidemann betont, durch die geplante Bebauung, „die den freien Zugang zur Deponie einschränkt“, erschwert werden.
Obwohl die Steb-Stellungnahme allen bisherigen Behördenverlautbarungen diametral widerspricht, gehen die Bauplanungen unvermindert weiter, sind zwar weitere Grundwasseruntersuchungen, aber keine Bodenanalysen geplant. Bernd Meyer, Sprecher der Stadtentwicklungsbehörde: „Die Schadstoffe schlummern so tief in der Erde, daß eine Beeinträchtigung für die Oberfläche ausgeschlossen werden kann.“ Bleibt die Frage, warum die Deponie dann in Zukunft nicht betreten werden darf.
Doch nicht nur die Gifte im Erd-reich bedrohen das ambitionierte Bauprojekt: Die Telekom, nach deren Vorstellungen der Bebauungsplan einst maßgeschneidert wurde, befindet sich bereits auf geordnetem Rückzug. Sie will auf dem Gelände das geplante Fernmeldeamt 5 aus Kostengründen nur „in reduzierter Form“ verwirklichen.
Auch die Altonaer Endo-Klinik, die auf die Bahnhofslinse umziehen wollte, hat inzwischen abgewunken. Andere Investoren und Nutzer, die ihr Interesse an dem geplanten Gebäudekomplex offiziell bekundet haben, gibt es aber bislang trotz stetigem Liebeswerben der Steb nicht.
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