: Pogo auf dem Eis
■ Schlittschuhlaufen in Berlin - eine taz-Serie / Teil 3: Polardisco im SEZ mit dröhnender Techno-Musik / Die Jungs produzieren sich und klopfen Sprüche
Das Bürschchen mit den kurzgeschorenen Haaren baut sich vor dem Eingang auf. „Nur für Clubmitglieder!“ Sein Tonfall ist so autoritär, als gelte es eine Neonazi- Versammlung abzuschirmen und nicht ein Eisstadion. Eine Viertelstunde vor dem offiziellen Beginn der Polardisco im Sport- und Erholungszentrum (SEZ) läßt er nur die Clique aus dem Club auf das Eis. Auf der freien Bahn toben sich einige Jungmänner aus. Wie Geschosse fegen sie übers Eis, legen waghalsige Bremsmanöver hin, jagen sich. Pogo auf dem Eis. Doch die zur Schau gestellte Aggressivität ist nur pubertäre Pose, ein bißchen territoriales Machtgehabe, sonst nichts. Zwei türkische Jungs müssen draußen bleiben, weil sie keine Clubmitglieder sind, werden aber in Ruhe gelassen.
Punkt 8 Uhr schließt einer der Wichtigtuer aus der Clique das Verbindungstor zur überdachten Eisfläche auf. Die Show geht los. „It's partytiiiiime!“ brüllt der DJ ins Mikrophon. „Fahrt vorsichtig, ihr wollt Silvester ja nicht mit einem Gipsbein verbringen.“ Im zweiten Atemzug heizt er der Menge ein: „Schneller! Schneller! Ihr müßt im Takt bleiben.“ Was bei Techno- Musik mit 180 Beats die Minute gar nicht so einfach ist. Aber die Teenies, die hier im Kreis fahren, ignorieren die widersprüchliche Botschaft des DJ sowieso. Das Tempo ist rasant, die Musik ohrenbetäubend, die Lightshow überwältigend. Scheinwerfer projizieren rote, blaue, grüne und lila Lichtkegel auf das Eis, die sich entgegen der Fahrtrichtung drehen. Besser, man schaut nicht hin, wie sie einem entgegenrasen, sonst stellt sich ein rauschhaftes Schwindelgefühl ein. Ohnehin ist auf dem Schlittschuh-Highway das gesamte Konzentrations- und Reaktionsvermögen gefragt, um Kollisionen zu entgehen.
Wenn die Ohren zu sehr dröhnen, kann man auf die benachbarte, nicht überdachte Eisfläche flüchten. In Blickweite liegt das türkis leuchtende Open-air-Schwimmbecken des SEZ. Vereinzelt aalen sich Schwimmer zwischen den aufsteigenden Dampfschwaden. Drinnen, an der Bar des Schwimmbads, sitzen Mittfünfziger am Tresen und lassen ihre imposanten Hängebäuche über die Badehose schlabbern.
Der DJ nimmt Musikwünsche entgegen. Seine Versuche, die Teenies zum Mitsingen zu bewegen, provozieren allerdings nur ein schwaches Echo. „Mann, wenn ihr euch hören könntet“, versucht er es mit Publikumsbeschimpfung. „Seid ihr 'ne Trauergemeinde, oder was?“ Mehr Begeisterung weckt ein Spiel, bei dem der Gewinner eine Freikarte für die Polardisco gewinnen kann: Die Teilnehmer müssen die Eisfläche überqueren, ohne sich von den „Jägern“, zwei besonders schnellen und wendigen Läufern, abklatschen zu lassen. Auf die Frage, warum nur die Jungs mitmachen, antwortet eines der Mädchen: „Weil die besser fahren können.“
Nur eine einzige traut sich mitzumachen. Dafür muß sie sich vom Spielleiter einen blöden Spruch anhören, als er zählt, wie viele noch im Rennen sind: „Noch vier Jungs und ein kleines Mädchen.“ Das animiert den DJ zu einer Einlage. „Weil ich ein Mähähähädchen bin...“, singt er albern ins Mikrophon. Das „kleine Mädchen“ dürfte schon sechzehn sein und erträgt diesen Blödsinn mit Fassung. Cool wechselt sie weiter die Seiten. Da sich die Jäger ohnehin darauf konzentrieren, die Jungs zu erwischen, läuft sie letztlich außer Konkurrenz.
Warum sie hierherkommen? „Es ist lustiger als in der Disco“, meinen zwei vierzehnjährige Mädchen, die schüchtern an der Bande stehen. Bis auf zwei junge Familien und eine ältere Dame, die mit ausgebreiteten Armen versucht, in diesem Getümmel die Balance zu halten, sind an diesem Abend die Teenies unter sich. Was war zu DDR-Zeiten anders? „Nur die Musik, sonst nichts“, meint eine Frau um die Dreißig. „Auch das Eisstockschießen, bei dem man eine Eintrittskarte gewinnen kann, gab's früher schon.“
Auch diesmal hat der Spielleiter einen Spruch auf Lager: „Knüppel aus dem Sack ... ähh Knüppel aus der Hose...“, kündigt er das Eisstockschießen an. Diesmal treten Jungs und Mädchen getrennt an. Warum, wird schnell klar. Für die Mädchen wird der Holzpuck, den sie treffen müssen, nur in halb so großer Entfernung plaziert wie bei den Jungs. Immerhin wagen sich jetzt einige Mädchen an den Start. Daß sie sich in einem solchen Klima nicht viel zutrauen, ist kein Wunder. Vielleicht hätte ich mir ein Lied wünschen sollen: „It's a man's world“. Dorothee Winden
Polarium im SEZ, Landsberger Allee
Öffnungszeiten: montags bis donnerstags 8 bis 21 Uhr, Freitag 12 bis 22 Uhr, Samstag und Sonntag 10 bis 22 Uhr/Polardisco: Freitag 20 bis 22 und Sonntag 17 bis 19 Uhr
Eislauftreff für Kinder: Mittwoch 17 bis 19 Uhr
Eintritt: 5 DM (Tageskarte)
Polardisco: 6 DM
Schlittschuhe können ausgeliehen werden.
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