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Frauenhaus-Dilettantismus stützt die Gesellschaft

■ Ineffizienz oder AWO-Mißwirtschaft sind letztlich nützlich, meint eine Studie

Berlin (taz) – Als ein hessischer Bezirk der Arbeiterwohlfahrt (AW0) Mitte der 80er Jahre wegen Mißwirtschaft in ein Millionendefizit rutschte, war das ein Skandal in den Augen des örtlichen Stadtparlaments und der lokalen Presse. Ganz falsch, meint dazu der Konstanzer Soziologe Wolfgang Seibel in einer neuen Studie*. Mißwirtschaft wie im AWO-Bezirk gehöre vielmehr zum Überlebensprinzip gemeinnütziger und halbstaatlicher Organisationen und nütze damit auch der Gesellschaft.

Seibel untersuchte zwei AWO- Bezirke in Hessen und Nordrhein- Westfalen, in denen in den 80er Jahren gravierende Fälle von Mißmanagement zu Tage traten. In dem hessischen Bezirk ging der AWO-Geschäftsführer damit selbst an die Presse. Der Mann war SPD-Kandidat für den Posten eines hauptamtlichen Stadtrates und wollte sich durch die „Flucht nach vorn“ profilieren. Aber die Presse stellte die AWO-Bezirksleitung an den Pranger. Die journalistisch tätige Ehefrau des SPD-Oberbürgermeisters schrieb einen süffisanten Artikel über die Unfähigkeit des AWO-Geschäftsführers, der ein parteiinterner Konkurrent des eigenen Ehemannes war. Die Folge: der AWO-Mann verzichtete auf seine politische Kandidatur, blieb aber gerade deswegen als – inkompetenter – Geschäftsführer dem Wohlfahrtsverband erhalten.

In einem nordrhein-westfälischen AWO-Bezirk dagegen wurde ein ökonomisch versierter „Sozialmanager“ in die Geschäftsführung berufen, als die Bilanzen abrutschten. Seine Sanierung war zwar erfolgreich, nach kurzer Zeit aber wurde der Mann zum Staatssekretär ins nordrhein-westfälische Landessozialministerium befördert. In einem Fall hatte die AWO einen unfähigen Mann behalten, im anderen Fall einen guten verloren.

Da die 1919 von den Sozialdemokraten gegründete AWO vor allem eine Umfeld-Organisation der SPD ist, habe sie mit dem Postengeschiebe durchaus ihre Funktion erfüllt, meint Seibel. Denn mit der Kungelei sichere sie „den Bestand des Verbandes durch Einbettung in Machtverhältnisse", die wiederum „zur eigenen Stabilisierung auf Organisationen wie die Arbeiterwohlfahrt angewiesen sind". Mit Maßstäben der Norm- und Zweckrationalität sei die AWO daher nicht zu messen, denn sie bringe „politische Kompensationsleistungen“.

Auch die Autonomen Frauenhäuser versagen, nach zweckrationalen Maßstäben, stellt Seibel fest. Ihr Anspruch an Autonomie und hierarchiefreie Strukturen führe zu ständigen Konflikten mit mißtrauischen Behörden. „Dabei handelt es sich allerdings um eine unnötig negative Selbstdarstellung der Frauenhäuser“, findet der Soziologe. Denn im Grunde müßten die Behörden die Zusammenarbeit schätzen: die Mittelzuwendung an die kleinen Frauenhäuser sei viel leichter zu kontrollieren als beispielsweise Zuschüsse an Wohlfahrtsverbände.

Auch die hohe Fluktuation unter den Mitarbeiterinnen sei eine Folge des bewußten „Anti-Professionalismus". Bemühungen zur Weiterbildung der Mitarbeiterinnen würden auf Mißtrauen stoßen. Einem entsprechenden Projekt des Familienministeriums hätten die Autonomen Frauenhäuser ebenso die Mitarbeit versagt wie einer Studie zum Stellenbedarf der Einrichtungen.

Die Autonomen Frauenhäuser trieben hohen Aufwand für die oft genug unzureichend bereitgestellte Dienstleistung und seien somit ineffizient, meint der Soziologe. Aber da sie gewissermaßen für „unlösbare Probleme“ (die Gewalt gegen Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft) Lösungen suchen müßten, gehöre ihr Versagen zum System. Denn das „Konfliktpotential des Frauenprotestes“ werde mit dem „Frauenhaus-Dilettantismus“ aufgefangen. Was die Mitarbeiterinnen der Autonomen Frauenhäuser zu dieser These sagen, hat Seibel allerdings nicht mehr recherchiert. Barbara Dribbusch

* Wolfgang Seibel:„Funktionaler Dilettantimus“, Nomos-Verlag.

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