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Verrat an der Wirklichkeit

■ Wie aussagefähig ist Kunst beim Thema Gewalt? Die Ausstellung "Gewalt/Geschäfte" in der NGBK, im Bethanien und im Schwulen Museum. Ein Gespräch mit Ausstellungsmacher Frank Wagner

Gewalt ist eine Frage der Definitionsmacht. Die Arbeitsgruppe der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) hat die künstlerischen Zugänge zu diesem Begriff sehr weit gefaßt, um die aktuelle künstlerische Auseinandersetzung mit der Vermarktung von Gewalt und deren Relevanz im Kunstbetrieb zu dokumentieren. Die über drei Museen verteilte Ausstellung versammelt dabei Exponate, die in ihrer Gegensätzlichkeit und Differenz der artistischen Mittel zum Teil schwer erträglich sind.

Neben der sehr streng komponierten Videoinstallation Valie Exports „Der Schrei“ steht ein kontroverses Werk wie Jenny Holzers „Lustmord“, das Vergewaltigung und Genozid der Frauen in Ex-Jugoslawien thematisiert. Dem Selbstverständnis nach politische Kunst, zeitigte die Veröffentlichung der Arbeit im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ einen Skandal. Sie fotografiert Sätze, die von Opfern und Tätern stammen können, auf einen Ausschnitt Haut geschrieben, der Druckfarbe wurde Blut von bosnischen Frauen beigefügt. In Werbeflächenformat illustriert Ken Lum alltägliche Aggressionserfahrung, in der plakativen Realisation selbst kaum unterscheidbar von modischer Werbeästhetik. Andere Arbeiten befassen sich mit rassistischer Gewalt (Beth B), antischwuler Gewalt (Bruce Nauman) und dem Gedenken der Opfer NS-staatlicher Verfolgung (Rosemarie Trockel). Die konzeptuelle Vielschichtigkeit der Ausstellung leistet zumindest eins: Sie stellt die Aussagefähigkeit der Künste auf eine harte Probe.

taz: Wie ist es zu dieser sehr heterogenen Auswahl von Arbeiten gekommen und dem Titel: „Gewalt/ Geschäfte“?

Frank Wagner: Das sind 36 verschiedene Positionen, den Katalog als theoretisch-kommentierenden Beitrag mitgezählt. Aktuelle Ausgangspunkte waren für die Arbeitsgruppe die Anschläge in Mölln, Rostock und Solingen und die während des Golfkriegs sich verändernde Berichterstattung der Medien – wo mit der Kamera auf die Blutlachen gehalten wurde, die Darstellbarkeit von Gewalt und Krieg total in Frage stand, weil die Wirklichkeit von den Nachrichten bereits überholt wurde. Da fängt eigentlich das Geschäft an.

Die Frage stellt sich natürlich, wie Künstler mit dem Thema umgehen, in einem kommerziellen Kunstbetrieb. Gehen sie voyeuristisch vor, bedienen sie einen Sensationalismus? Gewalt ist abstrakt ein Resultat von Machtverhältnissen. Und strukturelle Gewalt ist ein Produkt unserer kapitalistischen Gesellschaft, in der das Geschäft die Hauptrolle spielt. Also in dem Sinne ein absatzfördernder Aspekt, der in den Medien, dem Filmsektor oder der Werbung gezielt eingesetzt wird.

Wir haben uns für das Gegenteil entschieden, um das Thema weniger im dokumentarischen, fotojournalistischen Sinn zu zeigen, sondern eher in konzeptuellen Arbeiten. Wobei es auch Überlappungen gibt. Beispiel Andres Serano, der alle Tricks und Register der traditionellen Portraitfotografie benutzt, um ein abscheuliches Thema möglichst abscheulich darzustellen: Aufnahmen aus dem Leichenschauhaus, Portraits von Ku-Klux-Klan-Mitgliedern. Dabei ist das Vehältnis Fotograf/Modell brisant: Serano als Afroamerikaner, quasi ein ehemalige Sklave, der mit der Kamera Herr wird über sein Sujet.

Zurück zum Stichwort Golfkrieg, wo an die Stelle politischer Analyse die mediale Verarbeitung getreten ist, bis zur Enteignung von Realität.

Baudrillard sagte in einem Spiegel-Interview: „Der Golfkrieg im Fernsehen, was für eine Enttäuschung. Ein Krieg ohne Bilder.“ Der Großteil der Berichterstattung bestand aus Archivmaterial. Diesem Verrat an der Realität sind viele Künstler nachgegangen und der Frage, was wie noch authentisch darstellbar ist. Hollywood lehrt, das jede Befindlichkeit synthetisiert werden kann.

Die ausgestellte Arbeit von Jenny Holzer zu den Vergewaltigungen im ehemaligen Jugoslavien ist ja sehr umstritten. Ergreift ihr damit Partei?

Wir haben bewußt Arbeiten ausgestellt die mit Texten arbeiten, wie zum Beispiel auch Valie Export. Holzers Arbeit stellen wir zur Diskussion. Die Texte haben eine lüsterne Komponente, die viele Leute nicht akzeptieren. Die unklare Zuordnung kann die Arbeit mißverständlich machen, zugleich liegt in ihrer Direktheit ihre Stärke. Es geht erkennbar um Erniedrigung, Einschüchterung, aber der Zusammenhang ist interpretierbar. Das Ganze ist als Portofolio käuflich, für 1.500 Dollar, womit wir wieder beim Thema sind. Es besteht außerdem eine inhaltliche Verbindung zu anderen Arbeiten, wie Hans Haackes Katalogarbeit zu Benetton, der die Profitmaximierung eines Textilkonzerns untersucht, der mit pseudohumanitärem Impetus und blutverschmierter Kleidung wirbt. Oder Sanja Ivekovic aus Kroatien, die die professionelle Hilfe in Frage stellt und Reste der Überflußgesellschaft, zu einem Berg aufgetürmt, mit Dokumentarbildern aus der Psychiatriegeschichte kombiniert, die ihrerseits Abbildungen institutionalisierter Gewalt sind.

Einen ganz anderen Ansatz zeigt ihr mit der Dokumentation des Wettbewerbs für das „Mahnmal Homosexuellenverfolgung“ in Frankfurt.

Auch das ist eine Auseinandersetzung mit Gewalt, und zwar der NS-Herrschaft, in Form des Gedenkens, der Erinnerung. Wir wollten die aktuelle Auseinandersetzung über Denkmalskunst dokumentieren. Rosemarie Tockels Entwurf, ein gotischer Engel, ist ja inzwischen im Zentrum von Frankfurt realisiert worden.

Das Katalognachwort nennt die Exponate „Kunst mit hohem moralischen Anspruch“. Wie ist das zu verstehen?

Wir zeigen keine ausgesprochen zynische Haltung in der Ausstellung, sondern moralisch-ethisch sehr ernsthafte Arbeiten. Denkbar wäre auch jemand wie Martin Kippenberger gewesen oder offensivere sensationellere Werke. Wir wollten bewußt Erwartungshaltungen düpieren, nicht den prügelnden Skinhead zeigen et cetera.

Würde die Videoarbeit von Sheree Rose und Bob Flanagan, die ein S/M-Szenario zeigt, in dem extreme Schmerzen und die Krankheit Flanagans die Hauptrolle spielen, nicht eigentlich in eine andere Ausstellung gehören?

Damit sollte das Thema insofern erweitert werden, daß es sozusagen auch eine positive Gewalterfahrung gibt. Flanagan leidet an der Krankheit Mukoviszidose, die zu übermäßiger Schleimabsonderung führt, was große Qualen bedeutet. Er benutzt den masochistischen Schmerz, um die Schmerzen der Krankheit ertragen zu können. Uns ist allerdings bewußt, daß es eine Gratwanderung ist, Schmerzausübung zur persönlichen Befriedigung neben Arbeiten zu stellen die zum Beispiel den Krieg in Ex- Jugoslawien thematisieren.

Das stellt jedenfalls hohe Anforderungen an die AusstellungsbesucherInnen.

Als AusstellungsmacherInnen stellen wir uns diesen Widersprüchen. So enthält der Katalog einen Aufsatz von Laura Cottingham, die sich vehement gegen Arbeiten wie die von Jenny Holzer ausspricht. Wir wollen mit der Ausstellung ganz verschiedene Positionen zum Thema zeigen, um auf dieser Folie dann zu diskutieren. Deshalb auch das begleitende Programm mit Podiumsdiskussionen und Vorträgen zu den Themen Voyeurismus, Machtverhältnisse und feministische Theorie, zum Teil mit den beteiligten Künstlern. In der Ausstellung selbst haben wir bewußt keine didaktischen Maßnahmen ergriffen oder Interpretationshilfen geliefert.

Text und Interview: Gudrun Holz

Bis 19. 2., NGBK: täglich 12–18.30 Uhr, Bethanien: Di.–So. 12–18 Uhr, Mi. bis 20 Uhr, Schwules Museum: Mi.–So. 14–18 Uhr, heute sowie 1.1. geschlossen.

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