: Unterm Strich
Allerorten kraftmeiert und stahlgewittert es: Nach Alfred Hrdlicka bellt nun Frank Castorf in der Jungen Welt vor sich hin, romantisch depressiv gestimmt, „resigniert“, der arme Hund, und sieht um sich herum nur „kleinbürgerliches Geistesland, von reich bis arm, von links bis rechts. (Die PDS-Wähler hätten genauso gut ins andere Extrem gehen können.)“ Und jetzt raten Sie, woran es liegt: „Heute lebt man bedenkenlos in warmer Wohlanständigkeit, in einer Welt der Surrogate.“ Verweichlichte Hanswürste alles in allem, Toscana-Fraktion, mit 18 abgeschlossene Rentenversicherung, Jammerlappen, denen man nicht einmal mehr das Vaterunser durch die Rippen blasen kann. Na, und was glauben Sie, was die brauchen, diese Sozialdemokraten, diese frankophilen Käselutscher? Jawoll, „faschistoide, vitale Gedankengänge“, man sehnt sich nach „etwas, was Bewegung heißt“. Man sehnt sich nach Schmerz, Schluß mit den „Spalt- Schmerzstill-Tabletten“. Nach den Leuten, „deren Leben ein Alptraum war, die sich nirgends zu Hause fühlten und deswegen den Schützengraben heilig sprachen“. Also ab nach Bosnien. Wer es so genau denn doch nicht wissen will, für den hat es Castorf ein wenig kleiner: „Ein apokalyptischer Gedanke kann positiv wirken; es ist zwar zynisch, das auszusprechen, aber wahr.“ Bis ein solcher zu sehen ist, werden wir wohl weiterhin mit den Surrogaten aus dem Hause Castorf vorliebnehmen müssen.
Die Junge Welt ist auch die Zeitung, in der Hans-Christoph Blumenbergs Film Rotwang muß weg – der etwas von einer im Kaufhaus Wertheim arrangierten kalten Platte hat, für jeden ein gemäßigtes Häppchen, ein Witzchen, ein Kapriölchen – wo also dieses Traktat mit Pulp Fiction verglichen wurde, ohne daß der Herr einen Blitz oder einen Potz schickte.
Unter dem Titel „Der Verlust aller Maßstäbe“ meldet dpa ein letztes Mal in diesem Jahr aus Hollywood. Mit Kasseneinnahmen von rund fünf Milliarden Dollar war es ein schönes Jahr gewesen, ein schönes Geld hat es gegeben, aber: 70 Prozent der Filme haben ihre Kosten nicht eingespielt. Die Gagen sind exorbitant in die Höhe geschnellt, Sylvester Stallone hat gerade einen Vertrag über 20 Millionen Dollar unterzeichnet, für den es noch nicht einmal ein Drehbuch gibt. Hollywood steht in Hosen da und hat nicht einmal fünf Kandidaten, die man gut und gern als beste Filme des Jahres bezeichnen möchte. Die New York Times hat umstandslos „Forrest Gump“ unter die schlechtesten Filme des Jahres eingereiht, wo er doch glückliche Ignoranz propagiere.
Glückliche Ignoranz, gnädige Amnesie: die ersten besten Rezepte zum Umgang mit dem alten Jahr und den Schmerz-und Spaltprozessen im neuen. Wie auch immer. Die Auguren haben sich zurückgezogen; sehr viel schlimmer kann's aber nicht mehr werden, bestimmt nicht.
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