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Kein Vergeben, kein Vergessen

Gesichter der Großstadt: Die Verlierer des vergangenen Jahres unterscheiden sich von denen des kommenden nur dadurch, daß sie schon verloren haben  ■ Von Uwe Rada

Über Verlierer zu sinnieren, ist schwierig genug. Nicht, weil man selbst so selten gewinnt (was freilich noch keinem Verlust gleichkommt, sonst wären all jene, die sich hierzuorte vergeblich auf die Jagd nach dem Lotto-Jackpot gemacht haben, nachgerade Loser- Prototypen), sondern weil es schlechterdings nichts mehr zu verlieren gibt. Stadtringlücke weg, Berlin-Zulage dito, Kaufkraft perdu, nur der, der den Maßstäben der kritischen Vernunft zufolge eigentlich keinen Blumentopf mehr gewinnen durfte, steht wieder da und kann nicht anders. Dabei war gerade Walter Momper das Sinnbild für den gesellschaftlichen Fall eines Möchtegerns. Mal brannte sein Auto, dann seine Lippe, schließlich Walter selbst, und zwar in Richtung Immobilienszene, worauf bei den Genossen die Alarmglocke brannte und SPD- Kollege Ditmar Staffelt darauf, König Mompers Thron zu beerben. Doch das war im Jahre 1993 und steht hier nicht zur Debatte. Mittlerweile hängt Staffelts Bild selbst in der Verlierer-Galerie in der Müllerstraße, während Ahnennachbar Walter das seine abgehängt hat und einmal mehr auf Revanche brennt. Dabei stehen seine Chancen so schlecht nicht, der erste Verlierer des Jahres 1995 zu sein. Fällt Momper nicht bereits im Februar bei der Kandidatentour gegen Ingrid Stahmer in der B- Note durch, dann spätestens beim technischen Wettbewerb im Herbst gegen Diepgen.

Oder doch nicht? Wer weiß, ob Eberhard Diepgen im Herbst überhaupt als Spitzenkandidat ins Rennen geht. Nicht immer nämlich schwebt ein Glücksengel über den gekrönten Häuptern der Hauptstadt, wie bei Eberhard dem Grundsteinleger, den während einer Feierzeremonie für die „Geschäftshäuser Friedrichstadt“ eine vom Kran herabstürzende Deutschlandfahne samt Holzgestell nur knapp verfehlte und dem Lokalteil die Schlagzeile ersparte: „Diepgen, Diepgen, unter allem“.

Über alles hingegen liebt Wolfgang Templin das schwarzrotgüldne Banner. Der Bürgerrechtler hatte im Februar des letzten Jahres dem rechtsradikalen Blatt Junge Freiheit ein Interview gegeben, wonach er hernach ganz schön alt aussah. Seine Prenzelberger Bezugsgruppe nämlich drohte ob des Ausflugs in die völkische Kuschelecke mit Liebesentzug und die rechte Kamarilla von Zitelmann bis Schacht und Junge Freiheit-Lesekreis mußte sich das Grinsen verkneifen. Schließlich kommt es nicht alle Tage vor, daß ein Grüner mit Kordhosen und abgewetztem Schulranzen deutsche Sekundärtugenden spazierenträgt.

Da war Arno Funke, alias Dagobert schon von anderem Kaliber. Ihn an die Justiz zu verlieren war vielleicht der größte Rückschlag eines ohnehin erfolgsarmen 1994. Wann wird es das noch einmal geben: Polizeibeamte, die dem Erpresser auf Kotminen hinterherrutschen, gestandene Ermittler der Berliner Kripo, die vergessen haben, daß man mit Berliner Schnauze allein sich im französischsprachigen Frankreich nicht unbedingt verständlich machen kann. Da tröstet es auch nicht, daß die Mitarbeiterinnen der Justizpressestelle ihrem Idol huldigen und auf einem Plakat „Freiheit für Dagobert“ fordern, und es tröstet nur wenig, daß auch die Sicherheitsbehörden an der Spree Verluste hinnehmen mußten. Allen voran das Landesamt für Verfassungsschutz. Dieses verlor nicht nur seinen Chef, den Innensenator Dieter Heckelmann, sondern zu Jahresbeginn auch einen verdienten Agenten an die taz. Zwei Schlapphüte (elegant gekleidet und versteckt hinter einer Hecke) sollten die Kontaktaufnahme des Agenten mit einem potentiellen Antifa-Informanten absichern. Pech für den Agenten. Der Jugendliche hatte bereits vorher dekonspiriert. (Glück hingegen hatten die Heckenschützen, sie konnten fliehen.)

Die Flucht ins Peinliche trat dagegen auch 1994 wieder einmal Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) an. Der Guinness-verdächtige Anwärter auf den Titel: „Berliner Rekordhalter für Pressekonferenzen und sonstige Faxen“, brachte sich vergeblich um die Nachfolge Ditmar Staffelts ins Gespräch. Das forsche Fingerschnippen des Bausenators jedenfalls quittierten die Genossen umgehend mit der roten Karte. Sie werden gewußt haben, warum: Der politische Erfolgsquotient (Anzahl der Medienberichte dividiert durch Einladungen zur Pressekonferenz) lag bei Nagel 1994 trotz fortdauernder Medienquälerei noch immer hinter Innensenator Heckelmann. Heckelmann lag mit 375 Treffern auf der taz-CD-ROM jedenfalls deutlich vor Nagel (309), obwohl es der forsche Dieter („Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“) in der Regel vorzieht, gegenüber der Presse den Mund zu halten. Wie zuletzt bei der Affäre um seinen ehemaligen Pressesprecher Bonfert, der mit Templin um den deutschnationalen Grand Prix („Berliner Appell“) buhlte.

Doch nicht nur Politiker, mithin schwer auszurottende Untote, zählten zu den Verlierern 1994, sondern auch wahrhafte Leichen. Zu den postmortalen Unglücksraben zählten vor allem die Wehr- und Leblosen im Universitätsklinikum Rudolf Virchow (UVRK). Sie, die schon zu Lebzeiten vom Unglück verfolgt waren, wurden im UVRK durch geldgierige Hirnhautdealer auch noch ihrer Totenruhe beraubt. Sie trugen es, ungewöhnlich genug, mit Fassung. Gute Verlierer gibt es nämlich selten. Ein besonders schlechter Verlierer war 1994 Otto Höhne, der Boß des Berliner Fußballverbandes. Sein Lieblingsspiel, das Spiel mit dem Feuer an des Führers Geburtstag, ging ihm diesmal gründlich daneben. Der englische Fußballverband sagte das von Höhne und dem DFB auf den 20. April im Olympiastadion angesetzte Länderspiel Deutschland gegen England kurzerhand ab. Zuvor war bereits der Höhne-Amtssitz im Grunewald von buttersäurebewehrten Autonomen heimgesucht worden. Höhne trat direktemang die Flucht in den Urlaub an und entkam somit der Rücktrittsforderung der Grünen, die den obersten Balltreter der Stadt dafür kritisierten, die Gegner des Länderspiels als „Terroristen“ bezeichnet zu haben.

Daß es nicht nur einen Verlierer gibt, sondern gleich eine ganze Stadt, das möchte man glauben, wenn man den bisherigen Verlauf des Berliner Architekturstreits verfolgt. Sogar als in postfaschistischer Tradition stehend, wird die „kritische Rekonstruktion“ Berlins gegeißelt. Dabei sieht sich Hans Stimmann, der Hüter der Traufhöhe und Blockbebauung, ganz in der Tradition der Linken und ihrer antikapitalistischen Projekte, wie er im taz-Interview einmal behauptete. Pech für Stimmann: Sein Chef, Wolfgang Nagel, ließ die Bemerkung streichen, und Stimmann steht weiter in der Kritik derer, die sich selbst nicht als Linke, sondern als Verlierer definieren. Allen voran Daniel Libeskind, der im Sommer der Stadt trotzig den Rücken kehrte, um im Herbst nach dem Gewinn des städtebaulichen Wettbewerbs Landsberger Allee sein Comeback zu feiern. Pseudoverlierer Libeskind zählt damit zu den ganz wenigen, die in der Baubranche noch eine müde Mark gewinnen. Gerade in Berlins ureigenstem Sumpf nämlich tummeln sich seit dem Fall der Büromieten nur noch Mangelwirtschaftler. Der Verlust ist, ähnlich wie die Sucht, ein Teufelskreis. Immerhin war es Walter Momper, der das verlorene Image des Ex- Abendschau-Chefs Ellinghaus in der Baubranche aufmöbeln sollte. Doch anstatt seinem Chef den Rücken freizuschaufeln, legte sich Momper mit dem ehemaligen Baustadtrat von Kreuzberg, Werner Orlowsky, an. Momper verlor und darf weiter als Umwandler von Miets- in Eigentumswohnungen bezeichnet werden, ein Ruf, mit dem er eigentlich nichts mehr zu verlieren hat. Nicht einmal die Schlacht um den Parteivorsitz. Doch das ist eine andere Geschichte und soll hier im nächsten Jahr erzählt werden.

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