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Freie Fahrt für freie Trinker Von Ralf Sotscheck

Das Polizeiauto kommt mit quietschenden Reifen mitten auf der Fahrbahn zu stehen. Die uniformierten Beamten schalten das Blaulicht ein und springen aus dem Fahrzeug. Jede Bewegung wirkt, als sei sie von US-amerikanischen Krimiserien abgeguckt. Doch dann zücken die Polizisten keinen Revolver, sondern ein Plastikröhrchen: Alkoholtest.

Seit kurz vor Weihnachten gehört diese Szene zum irischen Alltag. Die Dubliner Regierung hat den Höchstwert für Alkohol am Steuer von 1,0 auf 0,8 Promille gesenkt. Zwar beträgt der Unterschied höchstens ein halbes Glas Bier, doch darüber hinaus besitzt die Regierung die Unverschämtheit, den neuen Grenzwert mit Polizeikontrollen durchzusetzen. Zehn Jahre lang hatte ich in Irland keine einzige Alkoholkontrolle erlebt, im Dezember waren es mehr als ein Dutzend — an einem Abend gleich drei Stück auf einer Strecke von acht Kilometern.

Die Grüne Insel ist dem Untergang geweiht, wenn man den Gastwirten glauben kann. Die Pubs dienen ja nicht nur der Einnahme alkoholischer Getränke, sondern sie sind außerdem Nachrichtenbörse, politische Bühne und Kontaktschmiede — kurz: das verlängerte Wohnzimmer der Iren. Wenn es nun verwaist, kommt das soziale Leben unweigerlich zum Erliegen. Schon haben sich Bürgerinitiativen gebildet, die „freie Fahrt für freie Trinker“ fordern. Vor allem auf dem Land, so argumentieren sie, sind die Freunde des Alks verratzt, weil es nachts keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt. Laufen oder Autofahren, heißt also die Devise. Da jedoch schon ein hundertstel Promille über dem Limit drastische Strafen nach sich zieht, bleiben viele zu Hause. Die Gastwirtsvereinigung malt ein düsteres Bild: Ein Drittel aller Barleute müssen ihren Hut nehmen, wenn sich der Trend fortsetzt. Allein im Dezember sei der Umsatz um 30 Millionen Pfund zurückgegangen, liege aber noch bei mehr als zwei Milliarden Pfund im Jahr. Niall Duff von Fox's Pub, der höchstgelegenen Kneipe Irlands, hält das neue Gesetz für lebensgefährlich: „Arbeitslosigkeit und Selbstmord sind in Irland eng miteinander verbunden“, argumentiert er. „Demnächst werden sich Kneipiers und Angestellte das Leben nehmen, wenn sie arbeitslos werden.“ Darüber hinaus werden die Touristen ausbleiben, weil ihnen die berühmte Kneipenatmosphäre fehlt: mehr Arbeitslose, mehr Selbstmorde.

Michael Moloney, der Präsident der Gastwirtsvereinigung, gibt zwar zu, daß jetzt vielleicht weniger Menschen auf Irlands Straßen ums Leben kommen, doch die Verkehrstoten seien schließlich zum Wohle des Landes gestorben: „Wenn 50 Leute in der Industrie sterben, schließt man doch auch nicht sämtliche Fabriken“, sagt er mit der Logik eines Fünfjährigen und fügt hinzu: „Wir sind über 18 und haben das Recht zu trinken. Das ist ein Angriff auf alle anständigen Menschen, die in den Pub gehen, zwei oder drei Pints trinken, ein paar Runden Karten spielen und dann nach Hause fahren.“

Vielleicht sollten sich die anständigen Menschen Autos mit Linkssteuer anschaffen. Ich darf jedenfalls weiterfahren, nachdem der Polizist einen ungläubigen Blick auf den leeren Beifahrersitz geworfen hat. Um mich zu kontrollieren, hätte er um den ganzen Wagen herumlaufen müssen.

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