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Im Blechgeschepper

Johann Kresniks „Ernst Jünger“, ein Stück über die deutschen Männer und ihre Feinde  ■ Von Nicolaus Sombart

Vor einem Ernst-Jünger-Ballett zu sprechen, ist vollkommen irreführend. Es handelt sich um eine Performance politischer Konzeptkunst in der besten Tradition des deutschen Expressionismus. Es geht um die blutige Offenlegung einer lange Zeit verborgenen Komponente der deutschen Geschichte, um die Diagnose einer nationalen Krankheit. Zur Diskussion steht das Syndrom „Die deutschen Männer und ihre Feinde“. Man kann es auch das „Ernst- Jünger-Syndrom“ nennen.

Der Name Jünger – die Biographie des Hundertjährigen – ist nur eine Metapher. Die große Show hätte auch heißen können: Kleist oder Hermann, der Cherusker, von dem berichtet wird, daß er eine von den Römern vergewaltigte germanische Jungfrau in vierzehn Teile zerhackte, um jedes Stück mit der Aufforderung, sich an dem nationalen Befreiungskampf gegen die Römer zu beteiligen, an vierzehn unentschiedene Stammeshäuptlinge schickte. In dieser barbarischen Geste deutscher Selbstbehauptung ist alles enthalten, was uns jetzt auf der Bühne vor Augen geführt wird. Selbstbehauptung und Selbsterfindung des deutschen Mannes, seine Stilisierung zum Heros des Krieges. Dahinter steht ein tiefes, nagendes Insuffizienzgefühl. Sein gestörtes Verhältnis zum anderen, zum Weiblichen, das zwanghaft zu seiner Unterdrückung, zu seiner Verstümmelung führt. Die Selbstvergötterung des Mannes, der Männlichkeitswahn auf Kosten der Frauen – das ist Kresniks Thema.

Die geniale Idee des Installationskünstlers Hans Haacke für das Bühnenbild: In den Mittelpunkt der Szene – ein mit großen Metallplatten verpanzerter Raum, archaisches Heiligtum, nationale Gedenkstätte, Industriehalle, Innenraum eines Roboterkopfes, Hirnkasten Ernst Jüngers – stellt er die gigantische Figur des von Michelangelos David inspirierten Kriegers von Breker. Niemals hat er besser an seinem Platz gestanden. Der gewaltige Phallos, zentraler Bezugspunkt eines paganen Mythos. Er – muß der (Berliner) Zuschauer denken – hätte in das Ehrenmal Unter den Linden gehört, nicht der klägliche, kleine Erdhaufen der Mutterfigur von Käthe Kollwitz. Er hätte zu Schinkel und Kleist und zu Moltke und Falkenhayn und zu Hitlers Marschällen gepaßt. Jetzt steht er da in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, heroisch und hohl.

Das phantasmatische Symbol männlicher Suprematie, heldischer Erhabenheit. Um ihn organisiert sich die Abfolge der Bilder wie ein makabrer Mummenschanz, in dem das Erschreckende, Absurde, Abstoßende, das Menschenfeindliche, Misogyne, Kannibalische eines nationalen Wahns anspielungsreich, witzig und ausdrucksstark zur Anschauung gebracht wird. Das Tanzspektakel der Figurinen des Grauens ist nicht gestimmt auf das Register des Erhabenen, sondern des Komisch-Grotesken. Das gestalterische Prinzip ist die rückhaltlose Aufdeckung und Visualisierung der sexuellen Dimensionen der deutschen Geschichte bis in die Gegenwart. Undenkbar ohne das tiefenpsychologische Instrumentarium von Freud. Die Angstträume hinter der Wirklichkeit, die unser Bewußtsein verdrängt.

Oft muß man lachen. So, wenn das kleine Männchen auf der riesigen Kriegerstatue herumturnt und versucht, sie zu ficken (es bleibt bei der Masturbation). Besser kann man das Mißverhältnis zwischen maskuliner Schwäche und heroischem Anspruch nicht deutlich machen. Jünger, wenn er je sichtbar wird – der mythische Jünger ist in jeder Szene präsent –, erscheint auch nur als kläglicher Wicht. Er irrt ziemlich hilflos im Schrott der „Stahlgewitter“, dem Blechgeschepper von tausend Stahlhelmen und Eßgeschirren herum. Menschen werden für ihn zu Gewürm und Insekten, die den stählernen Innenraum seiner Erfahrung wie Trophäen schmücken.

Unvergeßliche Höhepunkte sind der Tanz der gefesselten und geknebelten, mit einer Gasmaske verunstalteten Frau zu Füßen des Molochs, ihre verzweifelten Zuckungen und Erstickungsanfälle, die schließlich tot zusammenbricht und in den blechernen Müllhaufen im Proszenium stürzt. Oder auch der Tanz der Hochschwangeren, die die blutige Frucht, die sie aus ihrem Leib herausschneidet, auf den Podest des Kriegerheros schleudert. Ein vollkommen überzeugendes Bild, wenn hier auch die Grenze des Erträglichen erreicht ist. Es ist unmöglich, hier die ungeheure Fülle der Einfälle, den Reichtum und die Originalität der Konfigurationen, Szenen und Konstellationen zu erwähnen, geschweige denn zu beschreiben. Man muß sich damit begnügen, die bedeutende künstlerische Leistung von Johann Kresnik zu würdigen, die ingeniöse Bühnenbildgestaltung von Hans Haake, gleichzeitig aber auch die Leistung des Ensembles, die sowohl in der Choreographie der Massenszenen wie in der Virtuosität der Einzelauftritte immer neue Überraschungseffekte produziert.

Ein Meisterstück deutscher Bühnenkunst. Deutsch bis ins Mark, deutsch, weil es so in keinem anderen Lande möglich und verständlich wäre. Vollkommen stimmig, vollständig. Es fehlt nichts. Man kann sich allerdings einen Erfolg in Frankreich vorstellen. Ein Echo der Pariser Connection klingt immer mit: Die Faszination der französischen Intellektuellen und Schwulen für den deutschen Supermann. Genet läßt grüßen.

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