Estonia-Werft unter Pfuschverdacht

■ Der Meyer-Werft in Papenburg wird Frist zur Vorlage von Festigkeitsberechnungen gesetzt

Stockholm (taz) – Inwieweit ist die Meyer-Werft in Papenburg verantwortlich für den Untergang der bei ihr gebauten Fähre „Estonia“, die 900 Menschen das leben kostete? Die internationale Havariekommission hat dem Schiffbauunternehmen eine Frist bis Mitte Januar gesetzt, um die Berechnungen für die Konstruktion der Bugklappe vorzulegen. Daß die Befestigungsmechanismen zu schwach waren und auch nicht mehr modernsten Erkenntnissen entsprechen, steht mittlerweile fest. Geprüft wird aber offenbar nunmehr, ob die zur Bauzeit im Jahre 1980 geltenden Sicherheitsvorschriften überhaupt eingehalten worden waren. Die Pfuschspur nach Papenburg wird von der Havariekommission mit einer diplomatischen Floskel umschrieben: Es bestehe zwar kein konkreter Verdacht, man schließe aber einen Konstruktionsfehler keinesfalls aus.

Die Meyer-Werft hatte selbst den Verdacht geweckt, um den es jetzt geht. Mitte Dezember war sie mit einer Presseerklärung an die Öffentlichkeit gegangen, in welcher die Schuld für den Abriß der Bugklappe auf die hohe Geschwindigkeit der Fähre geschoben wurde. Das ließ die Havariekommission umgehend aufhorchen, denn es gab seitens der Werft keine Geschwindigkeitsbeschränkungen für bestimmte Wetter- und Windverhältnisse. Börje Stenström, Schiffsbauexperte der Havariekommission, sagt dazu: „Jetzt möchten wir doch einmal genau die Berechnungen sehen, die man zugrunde legte, als man kalkulierte, mit welchen Kräften das Schiff es zu tun haben könnte.“ Nach den bisherigen meteorologischen Erkenntnissen wurde ein Sturm, wie er in der Ostsee mehr als zehn- bis fünfzehmal jährlich anzutreffen ist, der Estonia zum Verhängnis. Daß auch nach der Estonia-Katastrophe Kommerz vor Sicherheit geht, zeigte gleichzeitig die norwegische Seesicherheitsbehörde. Diese stellte nunmehr einerseits fest, daß keine der Fähren unter norwegischer Flagge, die derzeit in Ost- und Nordsee unterwegs sind, die aktuellen nationalen Sicherheitsauflagen bezüglich der Bugklappenkonstruktion erfüllen. Sie dürfen aber trotzdem in den zu erwartenden Winter- und Frühjahrsstürmen weiterfahren und müssen erst bis Anfang Mai die Konstruktionen nachbessern. Reinhard Wolff