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Aus zwei Zeiten entsteht ein neuer Takt

■ Neue Berliner Architektur: Erweiterung der Renée-Sintenis-Schule in Frohnau durch die Architekten Léon und Wohlhage / Referenz an Baukunst der 50er Jahre

Aus dem Unregelmäßigen entsteht ein neuer Rhythmus. Aus der Überblendung zweier Zeiten erwächst ein neuer Takt. In der Verzahnung des Alten mit dem Neuen den baulichen Takt von Flächen und Volumen zu verschieben bildet ein Leitmotiv für die Erweiterung der Renée-Sintenis-Schule in Frohnau durch die Architekten Hilde Léon und Konrad Wohlhage. Das junge Architekturbüro erhielt für sein Konzept, das den alten Bestand respektiert und mit Neubauten (Bauzeit 1990 bis 1994) verdichtet, den Berliner Architekturpreis 1994.

Höhepunkt der zweigeschossigen Grundschule aus den 50er Jahren ist nach wie vor das mosaikgepflasterte Foyer, das sich als Baukörper aus dem langen alten Schulriegel heraushebt. An die Rückseite – hin zum Schulhof – dieses langen Bautrakts „klebten“ die Architekten eine schmale Zwischenzone: der erste Riegel, der sich wie eine parallelverschobene Schiene an den Altbau schmiegt. In diesen Baukörper mit kleinen Lichthöfen steckten Léon und Wohlhage die zweigeschossige Bibliothek, ein Besprechungszimmer und ein Atrium.

An diese Zone legt sich als zweite Schiene eine langer Gang aus Glas und Stahl. Sein dunkelrot lackiertes Stahlskelett schiebt sich am Ostende des Ensembles über den alten Riegel hinaus. Noch ein wenig weiter über das Ende hinaus wagt sich schließlich der Neubautrakt mit den Klassenzimmern, so daß sich dort die vier Bauschichten auffächern: der rauhverputzte Altbau, die Zwischenzone, das transparente Gerüst der Gänge sowie der glattverputzte Neubau. Hier liegen über dem Erdgeschoß mit den Lehrerzimmern und Verwaltungsräumen sechs Klassenzimmer, in denen die Architekten die Fensterbrüstungen weit herunterzogen, damit die Schüler auch im Sitzen noch den Blick nach draußen haben.

In der Auslobung für die Schulerweiterung stand zur Disposition, die alte freistehende Turnhalle im Schulhof abzureißen und eine neue Doppelhalle zu bauen. Doch das Team Léon/Wohlhage entschied sich für den Erhalt der schräg zum Schulriegel liegenden alten Halle und für den Neubau einer zweiten Halle, die zwischen Schulgebäude und Altbau eingepaßt wurde. Selten einladend und intim wirkt der Innenraum dieser außen hell verputzten Turnhalle. Die dunkelrot lasierte Holztäfelung der Wände zwischen den Betonstützen vermittelt eine warme Atmosphäre.

Licht erhellt die Halle, die durch ein großes Tor mit dem Pausenhof zusätzlich verbunden werden kann, durch eine Lamellenzone unter dem wellenförmig geschwungenen Dach. Das rotlackierte Tragwerk aus Stahl konturiert den Schwung der Welle, die mit Trapezblech verkleidet ist. Mit dieser Bewegung wird die Architektur zur Skulptur.

Die Kunst am Bau beschränkten die Architekten auf die Rettung von Reliefs, Brunnen und Trinkbecken der Bildhauerin Renée Sintenis, die der Schule ihren Namen gab. Schon in den 20er Jahren wurde sie für ihre kleinen Tierplastiken berühmt, die sie allerdings auf das Klischee einer allzu „mütterlichen“ Kunst festlegten. Die aus einem Stein gehauenen tropfenförmigen Becken in den Gängen der Schule widersprechen jedoch der Festlegung Renée Sintenis' auf zierliche Kleinplastiken.

So modern die Neubauten auch sind – ohne Referenz an die stille Kunst der 50er Jahre kommen Léon und Wohlhage nicht aus. Reminiszenzen an den Altbau sind etwa die hellen Farben des glatten Verputzes – Weiß, Gelb und Grün –, deren Zartheit im Kontrast zu den kräftigen Tönen des Stahlgerüsts und der Fenstersprossen steht. Ob die Feinheit des Putzes dem Ansturm des Berliner Drecks allerdings lange trotzen kann, scheint zweifelhaft. Rolf Lautenschläger

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