: Orpheus in der Autowelt
■ „Die Tankstelle der Verdammten“: Georg Ringsgwandls „lausige Rockoperette“ für akademische Mittvierziger wurde am Kölner Schauspiel uraufgeführt
Die Vergreisung der Gesellschaft hat die Popkultur erreicht: rüstige Sechzigjährige auf Welttournee. Zeit, daß sich das seriöse Theater nach jüngerem Publikum umsieht: den Mittvierzigern.
Georg Ringsgwandl, Bühnenkasper des Jahrgangs 1949, bedenkt seine Jahre und stemmt das Drama des alternden Rockstars auf die Bühne. Das Kölner Schauspiel versucht der Musicalwelle zu entkommen, indem es mitplätschert, aber gegen den Strom natürlich. „Die Tankstelle der Verdammten“ wird im Untertitel eine „lausige Operette“ genannt. Ringsgwandl: „Meine Absicht ist, ein Musiktheater zu machen, in dem sich Leute, mit denen ich mich vernünftig unterhalten kann, gut unterhalten.“
Der Operettentradition folgend ist die Handlung grob zusammengeschustert. Zu den Stammgästen einer Tankstelle, an der nicht nur Benzin gezapft wird, gehört ein 40jähriger arbeitsloser Rockgitarrist namens Chuck. Seine Mutter will ihn und seine Frau aus ihrer Wohnung hinaussetzen, wozu sie sich eines zweifelhaften Rechtsanwalts bedient. Der wiederum hat eine Frau, die Chuck interessant findetIrgendwie landen sie zum Finale alle in der Unterwelt einer Obdachlosenherberge: Orpheus auf dem Weg von der Tankstelle zum Heldenpurgatorium. Die gute Fee gibt ihnen dann die sozialkritische Empfehlung mit: „Bleibt freundlich, Kellerasseln.“
Wie im ordentlichen Singspiel sind die Handlungsfragmente nur Hilfsmittel für Couplets und Duette, Songs über alles: Currywürste und Erziehungsmoden, Fortpflanzungsmedizin und Autofahrer. Den Song von der faulen Ratte in der sozialen Hängematte singt Chuck gleich zweimal, zuerst auf sich selbst weisend und zum Schluß, damit die politische Richtung stimmt, auf den betrügerischen Rechtsanwalt.
Gegenüber dem Musical hat das den Vorteil der Ironie und der sozialhumoristischen Satire, von der Operette unterscheidet es sich durch die fehlende Sentimentalität. Ringsgwandl nennt als seine musikalischen Wurzeln „die alpenländische Volksmusik, Lehar, Millöcker, Strauß“, doch Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ ist nicht nur im Handlungsschema, sondern auch in der parodistisch- satirischen Haltung das geheime Vorbild. Und was die für die Aufführung zusammengestellte Band Treibstoff von der Bühne herunterfetzt, ist meist purer Rock, gelegentlich mit einigen bajuwarischen und wienerischen Verfremdungen vermischt.
Dieses südbayerische Chaostheater in den wäßrigen Westen geholt zu haben ist das Verdienst des Kölner Schauspielintendanten Günter Krämer und seiner unstillbaren Sehnsucht nach den unordentlichen Außenseitern des Showgeschäfts. Als Regisseur aber ist er seinem Autor nur wenig hilfreich. Alle Reste von Bühnenrealismus werden dem Libretto ausgetrieben. In der Halle Kalk wird die Tankstelle zu einem konturlosen Nirgendwo, ohne einen Versuch, Handlung oder Orte zu konkretisieren. Das verkürzt die schauspielerische Seite des Musiktheaters und überlastet die musikalische.
Unter dem Fünftonnenkran der alten Fabrik wird nur leidlich gut gesungen. Zwei Profis des Unterhaltungsgenres hat Krämer engagiert, die die ganze Aufführung tragen. Gerd Köster, früher Sänger bei „Schroeder Roadshow“, spielt den Chuck und weiß, worum es geht. Er führt vor, wie man mit einigen routinierten Gesten, einer guten Gesangsanlage und der Körperspannung, die man „power“ nennt, ein Publikum auf den Haken nehmen kann. Er ist so ausgehöhlt, daß er die nötige Haltlosigkeit für die Rolle hat, und doch noch so präsent, daß er den ganzen Abend rettet. Ralph Morgenstern in der verwirrenden Doppelrolle als Fee und Mutter Chucks spielt mit transvestitischer Albernheit und treibt dem Stück den letzten Rest von Gemütlichkeit aus. Alle anderen, Schauspieler des Kölner Ensembles, sind dagegen Amateure im leichten Fach. Das Kölner Schauspiel hat damit nicht nur die Stadttheatertradition der Silvester-Operette erfolgreich fortgeführt, sondern auch einen alternativen Einstieg in die Karnevalsaison gefunden. Gerhard Preußer
Georg Ringsgwandl: „Die Tankstelle der Verdammten“. Kölner Schauspiel.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen