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Rastafari, ausgewählt von Gott

Nachkommen schwarzer Sklaven aus Jamaika, die dann aus England auswanderten, warten in einem äthiopischen Dorf auf ihren Kaiser  ■ Aus Shashemane Bettina Rühl

Dawit lehnt sich aus einem Fenster mit grüngestrichenen Läden. Kinder kommen zu dem Büdchen, kaufen für Pfennigbeträge eine Handvoll Erdnüsse oder Eiswürfel, die mit etwas Zucker und Farbstoff versetzt sind. Sie feilschen hart um fünf oder sechs Erdnüsse mehr – weil sie gestern schon kamen oder sonst gegenüber kaufen. Dawit gibt seinen ausgefuchsten kleinen Kunden ein strahlendes Lachen zur Antwort und bleibt die Gelassenheit selbst: „Wenn die Schule vorbei ist, kommen sie in Scharen, und es gibt endlose Diskussionen. Egal – man muß sie ernst nehmen.“

Der 34jährige Dawit hat einen britischen Paß. 1990 kam der Schwarze zum ersten Mal hierher nach Shashemane, in diese äthiopische Kleinstadt 250 Kilometer südlich der Hauptstadt Addis Abeba. „Das ist meine Heimat“, behauptet der gebürtige Brite, dessen Eltern einst aus der Karibik nach England zogen. Für Dawit, Anhänger der Rasta-Bewegung, ist Äthiopien die biblische Heimat von Gottes auserwähltem – schwarzem – Volk. „Ethiopia is black man's paradise“, versichert er im breiten Creole-Englisch der jamaikanischen Schwarzen.

Die Rastas sahen eine biblische Prophezeiung erfüllt, als sich Ras Tafari Makonnen im November 1930 zum Kaiser von Äthiopien krönte – in einer Vorfahrenlinie, die bis auf König Salomon und die Königin von Saba zurückgehen soll. Das Staatsoberhaupt nahm einen neuen Namen an: Haile Selassie, „Macht der heiligen Dreifaltigkeit“, und gab sich den Titel: „König der Könige, Herr der Herren, seine kaiserliche Majestät, der erobernde Löwe des Stammes von Juda, ausgewählt von Gott“. Der Herr der Herren war Äthiopiens letzter Kaiser. 1974 kam es in Äthiopien zu einer von Militär angeführten Revolution, 1975 wurde der gestürzte Kaiser im Alter von 83 Jahren von den neuen sozialistischen Herren ermordet. Heute beschäftigt dieser Mord erstmals die äthiopische Justiz. Und die Rastafari verehren Haile Selassie weiter als lebenden Gott. Er werde, so ihr Glaube, die Schwarzen aus aller Welt in ihre Heimat Afrika zurückbringen und ihnen ihre Würde wiedergeben.

Daß Haile Selassie unter den „Ungläubigen“ umstritten ist, daß marginalisierte äthiopische Völker wie die Oromo ihn schlicht als schwarzen Unterdrücker bezeichnen, tut ihrer Anbetung keinen Abbruch. Selassie selbst hat seine Göttlichkeit immer geleugnet. Als er 1966 jamaikanischen Boden betrat, wehrte er sich gegen kultische Verehrung. Doch wichtiger schien den Rastas damals ein „Zeichen“ des „lebenden Gottes“: Bevor Selassie kam, hatte Jamaika unter einer langen Dürre gelitten. Kaum landete das Flugzeug aus Äthiopien, so wird erzählt, öffneten sich die Schleusen des Himmels – für die Ras Tafaris war bewiesen, daß der „Lord of the Lords“ für sein Volk sorgt. Daß Äthiopien später zum Inbegriff der Dürre wurde, bleibt in ihrem Bericht unerwähnt.

„Man sagte mir: Nimm dir Land und bau deine Hütte“

Auf dem Flecken Gelobten Landes, das Haile Selassie 1955 den Rastas schenkte, steht das Büdchen, in dem Dawit Coca-Cola, Erdnüsse, Pflanzenöl und Schnürsenkel in den äthiopischen Landesfarben rot-gelb-grün verkauft. Der Gewinn aus dem Verkauf fließt in die Kasse der Rasta-Community, einem Ableger der Ethiopian World Federation Inc. (EWF), die Haile Selassie persönlich 1937 ins Leben rief. Neun Familien leben heute auf 30 Hektar Land in Shashemane – mit den zahreichen Kindern sind das etwa zwischen achtzig und hundert Rastafari.

In der Mittagshitze treffen einige der älteren Männer ein, die derzeit mit der Ernte beschäftigt sind. Im Hintergrund läuft Reggae vom Band; der Ghetto-Blaster beschallt den Platz während des ganzen Tages. Die Musik der Rasta geht auf alte Arbeitslieder zurück, in denen Sklaven auf Jamaika durch afrikanische Rhythmen einen Teil ihrer „Roots“ bewahrten. Doch obwohl der Reggae für „good people“ eine rituelle Bedeutung hat, machen die „Brüder“ in Shashemane kaum Live-Musik: Die Bespannung der großen Trommel ist gerissen, geblieben sind nur die beiden kleineren. Und elektronische Instrumente haben sie ohnehin nicht.

„Loveanpeace!“ grüßt Bruder Rudolph Rodney (48) knapp, als er mit dem Mountainbike der Gemeinschaft vor dem Steinhaus hält, das derzeit als Tischlerei und Treffpunkt dient. „Ras Tafari!“ segnet ihn dafür der 58jährige Moody, Präsident des EWF-Zweiges in Shashemane.

Den Anbau des lokalen Getreides Tef und von Weizen hat Bruder Rudolph Beckford (59) bereits vor 26 Jahren gelernt. Damals kam er aus Jamaika nach Shashemane. Ein Jahr später heiratete er eine Äthiopierin, mit der er zehn Kinder hat. „Ich bin der Hure Babylon entflohen“, erzählt er, „und das war das Beste, was ich tun konnte.“ Bruder Rudolph wirkt oft abwesend, kaut Erdnüsse und dreht sich hin und wieder einen Joint. Auf bestimmte Stichworte hin wirft er ein „Ras Tafari!“ in die Runde, manchmal auch hellsichtigere Kommentare. In Jamaika wuchs Rudolph in Armut auf und fand kaum genug zum Überleben. „Als ich hier ankam, sagte der zuständige Verwaltungsbeamte einfach: Nimm dir Land und bau deine Hütte.“ Das Land in Shashemane ist fruchtbar, „du kannst pflanzen was du willst – es wächst“.

Für den eigenen Bedarf ziehen die Rastas Tomaten, Bohnen, Linsen und Kartoffeln. Auf ihren Feldern pflanzen sie Tef, Weizen und Mais. Die Überschüsse verkaufen sie auf dem Markt und bringen von dem Erlös Reis, Brot oder andere Nahrungsmittel mit. Fleisch kommt bei den gemeinsamen Mahlzeiten nicht auf den Tisch. Die „Brothers“ erledigen ihre Feldarbeit mit Ochs und Esel und verzichten beim Anbau für den eigenen Bedarf auf jede Chemie. „Ein Großteil von dem, was in Afrika auf den Markt kommt, wurde in Europa als Gift verboten“, erklärt Dawit.

Die Gläubigen, die heute in Shashemane leben, wurden in Jamaika und England im Elend groß. „It was that barefoot-stuff“, bringt Dawit seine Jugend in einem Londoner Ghetto auf den Punkt: keine Schuhe an den Füßen und kein sicheres Dach über dem Kopf. Im Kampf um das tägliche Überleben sieht er ein spätes Kapitel der 500 Jahre alten Geschichte der Sklaverei. Dem „schwarzen Volk“ fühlt Dawit sich deshalb mehr verbunden als den Briten, deren Staatsangehörigkeit er hat: „Ich habe mich nie als einer der ihren gefühlt, und sie haben mich nie als einen der ihren behandelt.“

Als Dawit 1990 zum ersten Mal nach Äthiopien kam, herrschte Militärdiktator Mengistu Haile Mariam. Die Militärs verfolgten die Rastafari gnadenlos: In ihren Hütten mußten sie ihre kleinen Altäre räumen und die Bilder Haile Selassies von den Wänden nehmen. Mengistus Schergen schoren den Rastas die „Dreadlocks“ und verhafteten sie, wenn sie sich wehrten. Nur wenige blieben damals in „Gods own country“, die meisten flohen zurück nach England oder Jamaika.

Dennoch blieb Äthiopien für sie das Gelobte Land. Der Glaube daran, daß ein schwarzer König die Schwarzen einst befreien werde, geht bis ins 18. Jahrhundert zurück. Damals begannen die versklavten Afrikaner in Jamaika, die Bibel neu zu lesen: Sie entdeckten die Bedeutung Äthiopiens und Ägyptens in der Schrift, die den Weißen heilig war – schließlich hatte Moses Gottes Volk aus Ägypten geführt, und als Urahnen des „Volkes Israel“ gelten König Salomon und die äthiopische Königin von Saba. Aus diesem frühen „Äthiopianismus“ entwickelte sich in den 20er Jahren die Rasta-Bewegung. „Meine Mutter hat mir in den Slums von Jamaika davon erzählt“, sagt Rudolph, der auch unter Mengistu nicht aus Shashemane floh. Seine Mutter war einer der führenden Köpfe in der Anhängerschaft des US-Schwarzenführers Marcus Garveys, der in den 20er Jahren in den USA die Universal Negro Improvement Association aufbaute. In ihren besten Zeiten hatte diese Bewegung etwa drei Millionen Anhänger. Garvey wollte den Schwarzen den Stolz wiedergeben. 1916 prophezeite er: „Schaut nach Afrika. Wenn sie dort einen schwarzen König krönen, dann ist der Tag der Befreiung nahe.“

Selassie kam, verlor den Thron und starb – das allerdings nur nach westlicher Auffassung. „Papa Ba“ ist da anderer Meinung. In brennender Mittagssonne sitzt der 67jährige, der nach eigener Darstellung 1965 von England hierher trampte, in seinem farbbeklecksten Kittel vor seiner Hütte und streicht einen Holzkasten braun. Unter seiner Rasta-Mütze wuchert das graue Haar, die Augen sind wach und leuchtend. Er habe den „King of the Kings“ oft gesehen, versichert Papa Ba, und noch heute treffe er ihn regelmäßig.

Im kriegszerstörten Äthiopien wollen die Rastas nicht auf weiße Hilfe warten, sondern eigene Entwicklungsarbeit leisten. „Wir arbeiten ganz legal“, betont Moody. Mit Hilfe der reicheren „Brüder“ aus Übersee und ihren Erlösen aus der Landwirtschaft wollen sie Kleinbetriebe für Baumwoll- und Metallverarbeitung gründen. Geplant ist auch ein Ausbildungszentrum, in dem technisch gebildete Rastas aus Europa Metallverarbeitung, Möbelbau, Elektrotechnik oder Kfz-Mechanik lehren sollen. Diese Kurse sollen – ebenso wie die geplante Grundschule – auch für Nichtrastas offenstehen.

Das Erziehungsministerium hat zwar bereits seinen Segen gegeben, doch ehe die Rastas Gottes auserwähltem Volk ihre Entwicklungshilfe zuteil werden lassen können, brauchen sie noch die behördliche Arbeitserlaubnis: Da sie keine äthiopischen Pässe haben, werden sie in ihrem „homeland“ als Fremde behandelt.

Dennoch suchen sie mit der neuen Regierung gute Kontakte. „Wir sind nicht politisch“, sagt Moody. Trotzdem beobachtet er skeptisch die Entwicklung der jungen äthiopischen Demokratie. Vorsichtig kritisiert er, daß die seit 1991 herrschende Übergangsregierung Konflikte zwischen den Volksgruppen schüre. Doch glauben die Rastas weiter an ihr Paradies: „We are one people, and Africa will be united.“

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