: Das Ende des Rekord-Briketts
Lausitzer Imker entdeckten den Brennstoff Kohle, als sie beim Wachssieden das herumliegende Gestein zufällig ins Feuer warfen. Nun werden die letzten Lausitzer Brikettfabriken gesprengt. ■ Aus Zeißholz Detlef Krell
Wo Lutz Rublack mit seinen Leuten hinkommt, bleibt kein Stein auf dem anderen und kein Kumpelauge trocken. In Haidemühl war er und in Heide, in Kausche und Knappenrode, im historischen Braunkohlerevier zwischen Hoyerswerda und Senftenberg. Von Zeißholz steht nur noch ein Schornstein; der ist heute dran.
Einsam ragt der gemauerte Schlot aus der ziegelfarbenen Ruine der Brikettfabrik. Sein Zwillingsbruder stürzte vor einigen Tagen, und in wenigen Minuten wird das letzte Wegzeichen in dem Kiefernwäldchen um das alte sorbische Dorf Cisow, deutsch: Zeißholz, verschwunden sein.
Sprengmeister Rublack schickt die Zaungäste über den Schuttplatz. „Da hinten, am Hang, da dürfen Sie stehen!“ 63,75 Meter hoch ist der Schornstein. Er muß exakt fallen, zwischen den Fabriktrümmern und den Resten des Waschhauses. Unter der Erde liegen noch uralte Leitungen, Gas und Wasser, die möchten den Aufprall überleben.
So nah wie möglich am Torso der Brikettfabrik steht ein Mann, um die 50, im Anzug und mit Schutzhelm. Manfred Jach ist heute nicht nach Plaudern zumute. Wehmut, ja, das sei wohl das richtige Wort. „Wehmütig wird mir, wenn ich das hier sehe. Ich habe von der Pike auf Brikettmachen gelernt.“ Jetzt ist Jach Betriebsdirektor der Lausitzer Brikettfabriken, heute den letzten Tag. Ab morgen hat er Zeit; dann will sich der Vorruheständler zu Hause, in Hoyerswerda, wieder mehr um seine Fußballmannschaft kümmern. „Am 18. Dezember 1991 haben wir in Zeißholz das letzte Brikett gepreßt.“
Ein Schalmeienton bricht in die Stille. Wie im Theater, zweimal, dreimal. Feine Rauchfahnen dringen aus dem Fuß des Schornsteins. Einen Lidschlag später der Knall. Zögernd noch, neigt der Schlot sich zur Erde. Zerbricht nach Sekunden, fällt in seine ziegelrote Staubwolke und birst auf dem vorgezeichneten Platz. Wind treibt den Ziegelnebel in den Wald. Der Schornstein bleibt liegen wie ein in seinem Bett erstarrter Fluß.
„Hut ab“, lobt Manfred Jach. „Ganz exakt.“ Brikettwerker stehen fachsimpelnd beim Sprengtrupp. Sarkastische Späße helfen über die Wehmut hinweg. Ein stoppelbärtiger, stämmiger Mann in Heizerkluft schaut stumm auf die zerstörte Fabrik. „Unvorstellbar“, murmelt er immer wieder. 35 Jahre lang hat Schichtelektriker Günther Wirth hier gearbeitet. „Jedes Weihnachten, jedes Ostern. Und jetzt, wo man es bald geschafft hätte...“
54 ist er; die letzte Schicht vor der Rente, eine Nachtschicht, war schon ausgerechnet. An dem Tag, da er seinen Abschied feiern wollte, wird über der Brikettfabrik längst Gras gewachsen sein, noch ein Arbeitsleben später steht an dieser Stelle ein junger Wald. Für Günther Wirth reicht die Arbeit nur noch bis Oktober: „Alles platt machen und bepflanzen.“
Ab ins Museum: Das Brikett als Kulturgut
Manfred Jach geht hinüber zum verlassenen Parkplatz, öffnet den Kofferraum seines Autos. Dort stehen sie, offene, schmale Kisten; Särgen fatal ähnlich. In jeder Holzkiste liegen nebeneinander sieben sauber gepreßte Briketts. In jedes Brikett weiß graviert zwei Jahreszahlen und ein Name. Haidemühl, Kausche, Welzow, Zeißholz, Heide, Knappenrode, Laubusch. Orte in der brandenburgischen und sächsischen Lausitz, die für eine Kulturgeschichte stehen. „Die Erinnerungsserien sind für die Kumpel. Eine Kiste bringe ich ins Dorfmuseum Zeißholz.“
Über hundert Jahre haben die Brikettfabriken im Lausitzer Revier den Menschen das Feuer ins Haus gebracht. Nun rücken ihnen die Feuerwerker auf den Leib. In Kausche, erzählen sich die Kumpel, herrschten „feudalistische Arbeitsbedingungen“, eine Knochenmühle. Heide, 1910 mitten im Wald neben einer Werkskolonie angelegt, war unbestritten „die schönste“ der sieben, faszinierendes Zeugnis für Lausitzer Industriearchitektur. In Zeißholz, 1911 als Fabrik Clara III eingeheizt, wurden Qualitätsbriketts für die Stahlindustrie gepreßt. Direktor Jach seufzt: „Dreißig Jahre mindestens wäre die noch gelaufen.“ Schichtelektriker Wirth erinnert sich: „Wir hatten einen nagelneuen Heizkessel eingebaut, der lief nur einen einzigen Tag lang, dann kam der Hammer.“
Drei historische Brikettfabriken, bei Senftenberg, produzieren weiter. Sie heißen „Sonne“ und „Fortschritt“, die älteste, 1889 in Betrieb genommen, „Meurostolln“. Sie alle gehören der „Lausitzer Bergbau-Verwaltungsgesellschaft“, einem Treuhandunternehmen, das die auslaufenden Bergbaubetriebe betreut und mit zunächst jährlich 900 Millionen Mark aus der Staatskasse das Lausitzer Kohlerevier sanieren soll. Unter welchen Fahnen das Staatsunternehmen nun agieren wird, berät der Aufsichtsrat in diesem Monat.
Klare Verhältnisse lobt dagegen Rheinbraun-Tochter Laubag, die „Lausitzer Braunkohle Aktiengesellschaft“. Neben gewinnträchtigen Tagebauen betreibt sie eine moderne Brikettfabrik, die „Schwarze Pumpe“. Die Laubag- Briketts mit der Rekord-Prägung, wirbt das Unternehmen, seien „ein hochwertiger, veredelter Brennstoff mit einem niedrigen Schwefelgehalt für Haushalt und Industrie“. Doch die Kulturgeschichte des Briketts endet im Museum.
Hier ist nichts Neues, und hier kommt nichts Neues
Die Staubwolken des Zeißholzer Schornsteins haben sich im Wald gelegt, und die Kumpel schieben den Ziegelschutt auf einen Haufen. Sprengmeister Lutz Rublack ist schon oft gefragt worden, wie ihm denn zumute sei, wenn er anderer Leute Arbeitsstätten in die Luft jage. Wie oft er in diesen Wochen auf den Knopf gedrückt hat, weiß er nicht, allein sechsmal in Zeißholz. Der junge Bergmann mit der korrekten Bezeichnung „Steiger Sprengwesen“ lobt die „Liebe zum Detail“ in diesen alten Fabriken, die „nicht nur zweckmäßig, auch auf Schönheit gebaut“ worden sind. „In Heide standen den Kumpel Tränen in den Augen.“ Die malerische Klinkerhalle widersetzte sich sogar dem Sprengstoff. Erst eine zweite, stärkere Ladung brachte sie endgültig zum Einsturz.
„Hier ist nichts Neues, und hier kommt nichts Neues“, beschreibt der Steiger die Aussichten der vom Bergbau geprägten Heidedörfer. „Für einige Zeit bringt wenigstens der Abriß Arbeit, nicht nur für die Kohlekumpel, auch für viele kleine, neue Firmen.“ In Zeißholz haben alle Dorfläden längst geschlossen und die meisten jungen Leute ihre Koffer gepackt. Aber schon bald, lästern die Leute vom Sprengtrupp, wird es hier blühende Landschaften geben. Dann wird sich das Heidekraut seine Sandböden zurückerobert haben, wie unten im Ortsteil Saxonia.
Dort erinnern einsturzgefährdete Waldstücke an die unterirdischen Stollen, aus denen im vorigen Jahrhundert die ersten Kohlenfelder abgebaut wurden. Pferde hatten die Loren gezogen und waren aus der ewigen Nacht lebendig nicht mehr herausgekommen.
Das Dorfmuseum erzählt diese Geschichten, auch davon, wie die Bauern und Imker in Zeißholz das schwarze Gestein fanden. Es lag einfach so auf den Wiesen herum und wurde eher zufällig beim Wachssieden mit ins Feuer gegeben. Das Staunen war groß, als die Steine Feuer fingen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen