■ Die neueste Entwicklungsidee für die Hauptstadt: Kurtaxe für Berlin
Berlinreisen sind olle Ladenhüter. Seit 1990, seit die Mauer weg ist, sind die Besucherzahlen in der Hauptstadt ins Bodenlose gesunken. Im vergangenen Jahr stiegen sie zwar wieder ein bißchen, aber das Niveau liegt immer noch weit unter 1990. Immer öfter greifen Polizeistreifen haltlos weinende Hoteliers auf, die sich in ihren Schuldenbergen verirrt haben und nicht mehr zurückfinden. Psychisch am Ende oder zumindest hochgradig gefährdet sind auch die Bediensteten der halbstaatlichen „Berlin Tourismus Marketing GmbH“, die seit Mitte 1993 unschuldige Kinder und Erwachsene mit Sonderangeboten an die Spree zu locken versucht.
Doch wo Gefahr ist, wächst die Rettung schon (Friedrich Hölderlin). Der Geschäftsführer der Marketingfirma, die unter anderem vom Land Berlin und der Lufthansa getragen wird, legte sich mächtig ins Zeug respektive in die Wehen und gebar eine reizende kleine Idee: Wenn jeder Berlinbesucher pro Übernachtung eine Mark zahlte, hätte seine Gesellschaft 7,5 Millionen Mark jährlich auf der Kante. „Touristensteuer“ nennt er das. Man könnte es auch Zwangsgeld nennen oder Glotzpfennig, hübscher klingt allerdings das Wörtchen Kurtaxe. Es erinnert an die berühmte Berliner Luft, die man hier in idyllisch zwischen zwei Großbaustellen gelegenen Hotels genießen kann.
Ein wahrhaft genialer Einfall, ein ganz neues Mikromodell für den Wirtschaftsaufschwung. Diejenigen, die sowieso nicht kommen wollen, werden ihren berlinfeindlichen Entschluß gewiß noch einmal umschmeißen, wenn sie höhere Übernachtungskosten bezahlen dürfen. Von den Mehreinnahmen finanziert die Werbefirma ihre neusten Knallbonbonbroschüren („Berlin-Berlin-Magazin“), die dann diejenigen kriegen, die sowieso nicht kommen wollen. Wie primitiv wirken dagegen die Vorschläge des alten Keynes, der die einen dafür bezahlen wollte, daß sie Gräben ausheben, und die anderen, daß sie diese wieder zuschütten. Man könnte den Gedanken noch gar mannigfaltig ausbauen. Statt Reisebroschüren könnten auch viele andere nützliche Dinge produziert werden, zum Beispiel Skorks oder Gschiebels oder Pfuffitüpfel. Der Berliner Senat müßte dann nur noch eine Skorksteuer oder eine Pfuffitüpfelabgabe erheben. Ute Scheub
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen