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„Weihnachten ganz ohne Muslime“

Serbenchef Karadžić will die bosnischen Städte Bjeljina und Janja bis zum orthodoxen Weihnachtsfest am 7.Januar „gereinigt“ haben / Jeden Tag treffen in Tuzla neue Flüchtlinge ein  ■ Aus Tuzla Frank Hofmann

Der 58jährige Mirko wußte nicht wie ihm geschah, als an diesem Tag der Chef der bosnisch-serbischen Militärpolizei der Stadt Bjeljina und seine Helfershelfer in seinem Haus standen. Mirko und seine 57jährige Frau sollten, so sagte der selbsternannte Serben- „Major“, „innerhalb von zehn Minuten“ seine Sachen packen und sich bereitmachen zum „Abtransport“. Das war im August.

Das Bauern-Ehepaar aus dem Nordosten Bosniens kam daraufhin in ein Zwischenlager und wurde dann in das nördlich von Bjeljina gelegene Batkovići gebracht. Ein Arbeitslager, das schon 1992 bestand und auch von dem US-amerikanischen Pulitzer- Preisträger Roy Gutman besucht worden war.

Mirko und seine Frau sind mittlerweile im von der bosnischen Armee gehaltenen Tuzla angelangt. Und mit ihnen mehrere tausend ihrer früheren Mitbürger, die ebenfalls aus ihrer Heimatstadt Bjeljina sowie der aus der von den Karadžić-Serben gehaltenen Stadt Janja vertrieben wurden. Derzeit kommen im früheren Sportzentrum Tuzla jede Woche weitere Vertriebene an.

Das Haus gaben sie „freiwillig“ ab

Denn seit dem 28. Juli 1994, so berichten die Flüchtlinge, wurden die Einwohner Bjeljinas und Janjas mit muslimischer oder kroatisch- katholischer Religionszugehörigkeit generalstabsmäßig vertrieben und unter anderem in das Arbeitslager Batkovići verfrachtet. Während der Mission des ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carters in Sarajevo und Pale kurz vor Weihnachten, so berichten die muslimischen Flüchtlinge, gingen die Vertreibungen weiter.

„Besitztümer und Ersparnisse“, berichtet Mirko, „wurden uns abgenommen. Wir wurden von unserem Haus in einen Ort gebracht und dort nach Schmuck und Geld durchsucht.“ Während er im Nebenzimmer eines „Sammelhauses“ gesessen habe, „hat sich meine Frau in dem anderen Raum ausziehen müssen“. Die Militärpolizisten sollen zu der Frau gesagt haben: „Wir schlagen dir alle Zähne ein, wenn wir später noch einen Dinar bei dir finden.“ Zuvor soll das Ehepaar, wie die anderen Vertriebenen auch, gezwungen worden sein, ein vorbereitetes Formular zu unterschreiben, demzufolge sie ihre Häuser „freiwillig an die serbische Republik“ abtreten.

Für die Verbrechen in Bjeljina und Janja ist nach übereinstimmenden Berichten Voisla Džurković verantwortlich – genannt „Vojkan“. Der 34jährige selbst verkauft die ergatterten Immobilien offenbar an serbische Familien.

Die 42jährige Zumreta Selimagić, die bis zu Beginn des Krieges in Bosnien als Krankenschwester in dem beschaulichen Schwarzwald- Ort Dobel gearbeitet hat, dann in ihre Heimatstadt Bjeljina zurückkehrte und später nach Tuzla ging, setzt sich jetzt in der bosnischen Industriestadt für ihre früheren MitbürgerInnen ein. Nach ihren Angaben prahlt Voislar „Vojkan“ Džurković in Bjeljina mit einem von Radovan Karadžić unterzeichneten Schreiben, demzufolge Bjeljina und Janja „bis zum 7. Januar muslimen- und kroatenfrei“ sein sollen. Am 7. Januar feiert die serbisch-orthodoxe Kirche ihr Weihnachtsfest.

Während seine Frau bereits im September an die serbisch-bosnische Front bei Tuzla gebracht und an die bosnische Armee übergeben worden war, brachten Vojkan und seine Helfer Mirko zusammen mit 22 weiteren Männern aus Bjeljina nach Batkovići. Dort mußten zwischenzeitlich nach Flüchtlingsschätzungen rund 410 Vertriebene in Mannschaftszelten, die auf Holzpaletten aufgebaut waren, nächtigen. Noch vor Monatsfrist wurden sie tagsüber von serbischen Soldaten auf die Felder geschickt.

Ein weiteres Lager soll in einem Gebäude am Bahnhof der Stadt Sjemenski Magaćin bestehen, wo bosnisch-serbische Deserteure und Muslime sowie Kroaten in engen Räumen eingepfercht sind. In Bjeljina selbst bestehen offenbar „Unterkünfte“ für Vertriebene aus der Stadt sowie aus Janja, aus denen heraus die Inhaftierten zur Arbeit in vier verschiedenen Betrieben der Gemeinde gezwungen werden.

Gegenüber Amer Zoranić, einem Journalisten aus Sarajevo, gaben verschiedene Flüchtlinge vier Firmen an: Termo Elektrana, Novo Selo, Vodoprivreda und Gip Grad. Unter anderem werden den Berichten zu Folge die Inhaftierten dort angewiesen, Landmaschinen für die nächste Ernte im Frühjahr und Sommer dieses Jahres zu überholen.

Doch damit nicht genug: „Wir haben mitbekommen“, erinnert sich Mirko, „wie 45 Männer aus unserem Lager zur Arbeit auf den Feldern bei Brčko geschickt wurden“, in den Korridor, zwischen die Frontlinien der bosnischen Armee und den Karadžić-Truppen. Die Männer kehrten nicht mehr zurück. „Am 17. oder 18. November“ seien zudem 120 Männer zwischen 19 und 24 Jahren nach Sarajevo gebracht worden. „Wir haben von ihnen seither nichts mehr gehört.“

Bosnier als lebende Schutzschilde

Auf rund sechshundert schätzt Mirko die Zahl derer, die aus Bjeljina und Janja über die verschiedenen Lager auf die achthundert Meter hohe Hügelkette Majevica bei Tuzla gebracht wurden, auf der sich die bosnische Armee und die Armee der bosnischen Serben gegenüberstehen.

Während die Serben Frauen, Kinder und Alte der bosnischen Armee übergeben, werden die Männer dort offensichtlich zur Arbeit gezwungen. Sie dienen den Serben als lebende Schutzschilde gegen die an dieser Stelle immer stärker werdende bosnische Armee. Dahinter steckt offenbar System: Weil sie Truppen von der Tuzla-Front nach Bihać abgezogen haben, wollen die Serben einen Durchmarsch der Bosnier mit Hilfe ihres „Humankapitals“ verhindern.

Dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) sind die Vertreibungen aus Bjeljina und Janja sowie die fortdauernde Existenz von Arbeitslagern in Bosnien unterdessen bekannt. „Ich war mehrmals beim Büro des IKRK in Tuzla“, sagt Zumreta Selimagić. „Die sagten mir dann, daß sie davon wüßten, auch von den Lagern, helfen wollten sie aber nicht.“

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