: Tempelhof ist nicht
■ Flughafen, Ullstein-Haus, UFA-Fabrik - was ist eigentlich Tempelhof? / Eine Ausstellung im Heimatmuseum Mariendorf gibt keine Antwort
Von Uwe Rada
Vor knapp 50 Jahren schauten die Völker der Welt nicht nur auf Berlin, sondern auch auf Tempelhof. Ohne Flughafen kein Rosinenbomber, ohne Rosinen keine Zukunft. Vor über 30 Jahren setzte Billy Wilder seine temporeiche Komödie „Eins, zwei, drei“ nicht nur am Brandenburger Tor, sondern auch am Flughafen Tempelhof in Szene. In 30 oder 50 Jahren schließlich wird es vielleicht Wohnungen geben und Spielplätze auf dieser riesigen Feldmark, Kaserne, Flugfläche, Freifläche: Tempelhof.
Und heute? Was eigentlich ist Tempelhof? Der Wohnort von Ditmar Staffelt? Die Heimat des Polizeipräsidenten und seiner Staatsschützer? Mariendorf plus Marienfelde plus Lichtenrade? Ein künstliches Gebilde, wie so viele, die 1920 bei der großen Eingemeindung geschaffen wurden? Der langweiligste Bezirk Berlins? Die Ausstellung „Templer, Bauern, Spekulanten“ im Heimatmuseum Mariendorf gibt darauf keine Antwort. Fazit: Tempelhof ist nicht. Tempelhof war allenfalls.
Tempelhof war zum Beispiel eine Komturei, 1210 vom Ritterorden der Templer gegründet, um von den Bauern der dortigen Gutshöfe die Abgaben an den Landesherren einzutreiben. In Tempelhof wurde 1903 von AEG und Siemens/Halske der damalige Geschwindigkeitsrekord von Eisenbahnen mit 210 Kilometern die Stunde erreicht. Tempelhof war Aufmarschplatz für den 1. Mai 1933 und bevorzugter Ort bei den Straßenumbenennungen der Nazis. 16 Straßen wurden 1936 umbenannt, im Zentrum stand (und steht noch immer) das laut Völkischem Beobachter „Dreigestirn Boelcke, von Richthofen, Immelmann“, allesamt Jagdflieger aus dem Ersten Weltkrieg, die kurz nach Machtantritt der Nazis bereits vom letzten Kommandanten des Richthofen-Geschwaders, Hermann Göring, geehrt wurden. Tempelhof war das Gestapo-Gefängnis am Columbiadamm. In Tempelhof lebten aber auch zahlreiche Widerstandskämpfer, die meisten von ihnen ermordet, nur einer, der Stadtrat Friedrich Küter, mit einer nach ihm benannten Straße geehrt.
Bezirke, die keine Gegenwart haben, zehren von ihrer Geschichte. Im Heimatmuseum ist es der Ackerbau, der Mietskasernenbau, der Ausbau des Flughafens zum „größten Luftkreuz Europas“ im Jahre 1935, sind es die Aufmärsche der Nazis auf der Paradestraße, die Fotos der ermordeten Antifaschisten. Ein Bild von der Gegenwart bietet die Ausstellung nicht. Wie auch. Tempelhof ist nicht UFA-Fabrik, sondern Autobahntorso, Teltowkanal, Ullsteinhaus, Germaniastraße, Karstadt am Te-Damm mit Bäckerblume und Blume 2000, ist nach Spandau der zweitgrößte Industriebezirk Westberlins, Kleinstadtsiedlung mit Reihenhauscharakteren. Tempelhof ist Berlin. Mehr als Kreuzberg und Prenzlauer Berg. Und Tempelhof ist Durchgangsstation. Nicht zur Ankunft, sondern zum Wegfliegen.
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