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EU-Recht geht vor

BUND fordert, für mindestens 100 Großprojekte Umweltprüfung nachzuholen  ■ Von Felix Berth

Was passiert, wenn die EU im Jahr 1985 ihre Mitgliedsländer verpflichtet, innerhalb von drei Jahren bei Straßenplanungen eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) einzuführen? Eine erste Antwort ahnt auch der Laie: Die Bundesregierung läßt sich damit erst mal Zeit. Denn eine Pflicht, sämtliche Umweltauswirkungen eines Projekts vorab zu erkunden, kann Planungsverfahren verzögern und ist daher eher unangenehm. Also gibt es das UVP-Gesetz nicht schon ab 1988, sondern erst seit 1990.

Und solange die Bundesregierung die EU-Richtlinie nicht in ein Bundesgesetz goß, konnte man die EU-Richtlinie getrost ignorieren, lautete bisher die gängige Meinung. Doch diese auch in anderen Fällen durchaus übliche Mißachtung der EU-Richtlinien hat offenbar die längste Zeit Bestand gehabt. Denn nach und nach entscheiden immer mehr Gerichte: Selbst ohne entsprechendes deutsches Gesetz muß eine EU-Richtlinie beachtet werden.

Ein entsprechendes Urteil fällte das Oberverwaltungsgericht Koblenz: Weil bei den Planungen für die Eifelautobahn (A 60) auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung verzichtet wurde, stoppten die Richter erst einmal den Bau der Autobahn.

Ähnlich urteilte der Europäische Gerichtshof nach einer Anfrage aus Bayern: Beim Bau der Bundesstraße 15 hatten die Behörden ebenfalls auf eine UVP verzichtet – also ist die Planung ebenfalls rechtswidrig. Und fast das gleiche Urteil stoppte den Bau des Autobahnrings A 99 rund um München. Von dieser neuen Rechtsprechung sind nach Angaben und Hoffnung des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) mindestens 100 Großprojekte betroffen, die zwischen 1988 und 1990 fertiggeplant wurden – denn 1988 lief die Dreijahresfrist der EU ab. Seit 1990 gibt es nun das deutsche UVP-Gesetz, und seither müssen in jedem Fall bei allen Großprojekten die Auswirkungen auf die Umwelt überprüft werden. Für Verkehrsprojekte aus diesen Jahren – darunter die A 49 in Hessen, neue Trassen der Bahn und neue Flughäfen – muß nun die UVP nachgeholt werden, fordert der BUND-Jurist Matthias Möller. Er wertet die neuen Urteile als sensationell: „Die Richter haben ja im Prinzip gesagt: Was kümmert uns das deutsche Recht, wenn es weitergehende EU-Vorschriften gibt.“

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