: Früchtchen gegen Würstchen
Hardcore-VegetarierInnen attackieren einen Öko-Fleischerladen im Bremer Szeneviertel Ostertor / Morddrohungen und zertrümmerte Inneneinrichtung: „Schlachter, stirb!“ ■ Aus Bremen Jochen Grabler
Matthias Groth ist Kummer gewöhnt. Der 29jährige Öko-Schlachter aus dem Bremer Szeneviertel Ostertor hat ein hartes Jahr hinter sich. Unzählige Male haben Unbekannte die Schaufensterscheibe und die Fassade seines Ladens vollgesprüht, haben die Scheiben seines Wagens zerdeppert, seinen Anhänger demoliert. Und ab und an bekam er Anrufe wie diesen: „Schlachter, stirb!“ Aber nun ist eine neue Eskalationsstufe erreicht. Die Silvesternacht wird der Schlachter nicht so schnell vergessen.
Im Schutze der traditionellen Bremer Silvesterkrawalle hat sich eine kleine Gruppe von Hardcore-VegetarierInnen ein ganz besonderes Neujahrsprogramm ausgedacht: Als rund um die Silvesterfeiern reichlich Scheiben zu Bruch gingen, griff ein kleiner Trupp den Grothschen Laden an und nicht nur die Schaufenster. In einer Blitzaktion stürmte er den Laden und schlug um sich. Dem Schlachter bleibt im neuen Jahr ein Trümmerhaufen. Alle Scheiben kaputt, der Verkaufstresen in Klump, alle Maschinen vollkommen zerstört, Pkw-Anhänger auseinandergenommen – mindestens 35.000 Mark Schaden. Und am Tag danach kam der entsprechende Anruf: „Gestern war es der Laden, bald bist Du dran.“ Eine ganz junge Stimme, sagt Groth. Die Indizien häufen sich, daß Silvester als schwarzer Tag in die Bremer Schlachtergeschichte eingehen wird. Denn Groth ist zwar das prominenteste, aber beileibe nicht das einzige Neujahrsopfer seiner Branche. Nahezu alle Schlachterläden im Szeneviertel wurden in der Nacht angegriffen. Während im Stadtteil Ostertor alle möglichen Branchen die Glaser holen mußten, waren es im Steintor nur zwei Läden – Fleischereien. Zusammen mit der Vorgeschichte des Öko-Schlachters, zusammen mit dem Bekenneranruf am Neujahrsmorgen wird der Verdacht zur Gewißheit, daß es sich dabei um eine gezielte Aktion gehandelt hat. „Vegans“ oder „Fruitarians“ sind es, die sich zum monatelangen Terror gegen den Öko-Schlachter bekannt haben. Das heißt VegetarierInnen. „Fleisch fressen ist Kannibalismus, Käse fressen Folter“, so konnte Groth an seiner Fassade lesen. Für die „Vegans“ ist jedes tierische Produkt des Teufels: Wer Lederschuhe trägt, ist potentieller Tierkiller. „Das sind meistens ziemlich junge Leute, die mit den weniger radikalen Tierschützern gar nichts zu tun haben“, sagt die Chefin der Bremer Tierschützer.
Der missionarische Eifer beim vermeintlichen Kampf für die Würde der Tiere geht dabei aufs Konto der Menschen. Den verzweifelten Versuch Groths, im letzten Sommer die Feindschaft in Dialog zu verwandeln, schlug gründlich fehl. Auf einer Papptafel hatte der Schlachter die „Vegans“ aufgefordert, ihre Argumente doch lieber nicht per Sprühdose auf seiner Schaufensterscheibe zu verbreiten. Das ging eine Weile gut. Aber dann ging der Terror wieder los – Scheibe eingeschmissen, Auto zerdeppert. Dann war drei Monate Ruhe – bis zum Jahreswechsel. Eine Spur der Verwüstung zog sich durch das Viertel. Neben Groth waren vor allem kleine Läden betroffen, die sowieso um ihre Existenz zu kämpfen haben.
Zum Beispiel die kleine Fleischerei Pflugk in einer Seitenstraße. „Als wir nach Hause kamen, war nichts los auf der Straße“, sagt die Besitzerin, die den Laden alleine führt. Aber gegen halb vier ging es dem Betrieb ans Glas – und an die Existenz. Die große Schaufensterscheibe allein kostet 7.000 Mark. „Und dann will die Versicherung bestimmt einen Rolladen haben“, erzählt die Fleischerin. Der soll 10.000 Mark kosten. „Ob ich das noch investieren soll?“ Ähnlich geht es dem alteingesessenen Schlachter Eckel. Der Meister, schon jenseits der 60, dachte nach der Krawallnacht laut darüber nach, seinen Laden aufzugeben. „Die Scherben sind bis hinter die Theke geflogen.“
Ein paar hundert Meter weiter mußte Fleischer Volker Safft nicht nur drei große Scheiben ersetzen lassen. Bei seinem Transporter wurden sämtliche Reifen zerstochen, der Kühlergrill wurde mit Montageschaum dicht gesprüht. „Das war gezielt“, empörte sich Safft. Über die Frage braucht sich Öko-Schlachter Matthias Groth spätestens seit dem Drohanruf am Neujahrsmorgen keine Gedanken mehr zu machen. „Das macht keinen Spaß mehr“, kommentierte er trocken. Nun hat er sich doch zu einer Anzeige entschlossen. Das hatte er im vergangenen Jahr sein lassen, auf Anraten der Polizei. „Die haben gesagt, den Schreibkram könnte ich mir sparen.“ Entsprechend ahnungslos ist die Polizei. Über monatelangen Terror gegen Schlachter „liegt nichts vor“, sagte ein Sprecher. Die Meldungen von Silvester liefen erst langsam ein. „Das läßt sich noch nicht analysieren.“
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