Tschetschenien und das Erdöl

■ betr.: „Kinkel: Jelzin fehlt das rechte Maß“, „Der Rote Platz von Grosny“, taz vom 4. 1. 95

Herr Duve schwimmt fröhlich mit im Strom der Meldungen der Nachrichtenagenturen und der deutschen Presse. Man spricht von Freiheit und von Religion, und wahrscheinlich glauben die armen Menschen, die mit Handfeuerwaffen gegen russische Panzer kämpfen, selbst daran.

[...] Würden die tschetschenischen Erdölfelder westlichen Multis gehören, sähe die Sache anders aus. Dann würde ein Angriff der Großmacht Rußland auf einen benachbarten Kleinstaat nicht klaglos hingenommen. Die Tschetschenische Republik besitzt die gleiche Fläche wie Kuwait, und sie hat genauso viele muslimische Einwohner.

Die drei kaukasischen Erdölfelder produzieren jährlich etwa so viel Öl wie Kuwait, rund 60 Millionen Tonnen pro Jahr; sie besitzen vergleichbare Reserven. Unter der tschetschenischen Hauptstadt Grosny liegt eins davon, das zweite ist das weltberühmte Feld von Baku, und das dritte liegt in Georgien, zwischen Tiflis und Kirovabad. Sollte es ein Zufall sein, daß sich Jelzin in den Bürgerkrieg der Abchasen eingemischt, sich dabei die Georgier gefügig gemacht und in die GUS zurückgezwungen hat? Sollte es Zufall sein, daß Jelzin im armenisch-aserbaidschanischen Krieg zunächst seinen Mann Alijew in Baku an die Macht brachte und ebenso schnell versuchte, ihn durch einen Putsch wieder beseitigen zu lassen, als er wagte, mit West-Multis über Erdölkonzessionen im Kaspischen Meer zu verhandeln?

Jelzin ist nicht besser als George Bush, wenn es darum geht, die Ölinteressen einer Großmacht gegen kleinere Nationen durchzusetzen. Immerhin wissen beide, daß Erdöl bald Mangelware werden und sein Preis in himmlische Höhen steigen wird. Die Chance für die andere Großmacht liegt jetzt darin, dafür zu sorgen, daß irgendwann die tschetschenischen Erdölquellen in Flammen aufgehen werden und mit den unerschütterlichen Löschtrupps von Fred „Red“ Adair und seinen Mannen auch das amerikanische Kapital zum Löschen und Wiedereröffnen der Ölquellen am Kaukasus endlich Eingang findet.

Wenn Herr Kinkel sagt, da kann er nichts machen, hat er recht. Achim Schneider, München

Wenn man die Bilder in den Medien sieht, wie um die Stadt Grosny gekämpft wird, wie ein Pulk Jagdbomber nach dem anderen über ein Volk herfällt, das nur in Frieden und Freiheit leben wollte, dann auch noch von einem russischen Präsidenten, dessen Gesicht vom Alkohol gezeichnet ist, erfährt, daß es die übrige Welt nichts anginge, und ein korrupter Verteidigungsminister persönlich vorort in Grosny den Tod Tausender Menschen befiehlt und über seine Taten auch noch stolz ist – ist wirklich die Frage zu stellen, kann man Rußland noch retten?

Ist das die große Reform in Rußland, wird Grosny der Beginn eines erneuten kalten Krieges – es steht viel auf dem Spiel, nicht nur für Grosny. Auch die Glaubwürdigkeit unserer eingeschlafenen Regierung steht auf dem Spiel, wenn diese sich durch Nichtstun auszeichnet. Torsten Lehmann,

Limburg an der Lahn