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Grosny brennt, Moskau zankt

■ Jelzin streitet mit seiner Militärführung um Verantwortlichkeiten im Tschetschenien-Krieg

Moskau/Grosny (rtr/AFP/taz) – Schwere Kämpfe in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny – schwerer politischer Streit in der russischen Hauptstadt Moskau: Während gestern die russischen und tschetschenischen Einheiten in Grosny widersprüchliche Angaben über jeweilige Erfolge bei den erbitterten Straßengefechten machten, brach im Kreml ein öffentlicher Machtkampf aus. Präsident Boris Jelzin forderte im Fernsehen seinen Verteidigungsminister Pawel Gratschow auf, ihm eine „absolut klare Auskunft“ zu geben, ob das Militär sein Bombardierungsverbot für Grosny befolge oder nicht. Was immer die Militärs Jelzin erzählen: Nach übereinstimmender Auskunft verschiedener Beobachter in Grosny flog die russische Luftwaffe gestern erneut Angriffe auf den Präsidentenpalast und das Stadtzentrum.

Laut Interfax hat Jelzin seinen Ministerpräsidenten Viktor Tschernomyrdin beauftragt, Verhandlungen mit Tschetschenien zu organisieren. Dem Nationalen Sicherheitsrat, der nach Jelzins Fernsehauftritt zusammentrat, sagte der Präsident, es müsse ein Datum für das Ende der Militäraktion in Tschetschenien gesetzt werden. Der Sicherheitsrat stimmte für eine Fortsetzung des Tschetschenien-Krieges. Die tschetschenischen Kämpfer müßten „entwaffnet und vernichtet“ werden. Offenkundig beginnt der Kreml nun mit der vorsichtigen Aussortierung von Verantwortlichkeiten, nachdem sich so recht kein Kriegsglück einstellen will, doch steht Jelzin nach wie vor hinter seinem Krieg. Die vom Präsidialamt herausgegebene Zeitung Rossijskije Wjesti bezeichnete gestern den Krieg als „eine Operation zur Diskreditierung von Präsident Jelzin“. Doch hieß es weiter: „Es war General Dudajew, der Moskau zum Krieg zwang.“ Die „Polizeiaktion“ in Tschetschenien werde „stümperhaft durchgeführt“. Der Sicherheitsberater Jelzins, Juri Baturin, widersprach indirekt der Zeitungsdarstellung, indem er der Zeitung Iswestija sagte, Jelzin sei über die Vorgänge in Tschetschenien genauestens informiert.

Jelzin traf sich gestern auch mit dem aus Grosny zurückgekehrten Menschenrechtsbeauftragten Sergej Kowaljow. Er habe einen Monolog gehalten, der manchmal von kurzen Antworten Jelzins unterbrochen worden sei, beschrieb Kowaljow hinterher die Zusammenkunft. Kowaljow berichtete außerdem, Jelzin habe ihm die Entlassung des Chefs des russischen Fernsehens, Oleg Popzow, mitgeteilt. Der staatliche Kanal hatte zuletzt kritisch über den Tschetschenien-Krieg berichtet. Für den 11. Januar ist eine Sondersitzung der Staatsduma einberufen.

Verteidigungsminister Gratschow reagierte auf Jelzins Vorwürfe, indem er sich seinerseits über die wachsende Kritik an der russischen Armee beklagte. Die versuchte gestern erneut, die Eroberung Grosnys abzuschließen. Die Innenstadt der tschetschenischen Hauptstadt wurde massiv mit Artillerie beschossen. Zahlreiche Gebäude standen in Flammen. Nach Korrespondentenberichten erzielten die russischen Truppen Geländegewinne. Russische Scharfschützen hätten sich dem Palast und dem Zentrum genähert.

Das russische Militär behauptete, der tschetschenische Präsident Dudajew habe sich mitsamt Armee in den gebirgigen Süden der Kaukasusrepublik abgesetzt; in Grosny kämpften nur noch Milizionäre.

Nach Auskunft des tschetschenischen Oberkommandierenden Aslan Maskchade kontrollieren seine Truppen weiterhin das Stadtzentrum Grosnys, jedoch bereiteten die Russen einen Großangriff vor, zehnmal stärker als der vorhergegangene. Die Zeitung Moskowskije Nowosti berichtete, seit Beginn des Krieges seien mehr als 1.800 Soldaten getötet worden. khd/D.J.

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