: „Die Polizei war zu rechthaberisch“
■ Interview mit Armin Stolle, Mensch „gegen Rechts“ und Leiter der Gesamtschule Mitte, über die Sylvester-Randale: „Wenn die Polizei die Schäden am Sielwall-Haus ersetzt hätte, wäre das ein gutes Signal gewesen“
Am Ende der diesjährigen Sylvester-Feier im Viertel stand ein kleiner Scherbenhaufen - während bisher die symbolischen Gewalt-Aktionen sich gegen Symbole des „Systems“ richteten, wurden in diesem Jahr Steine in die Scheiben kleiner Viertel-Läden geworfen - und es wurden hier und da Anwohner, die als politisch engagierte Leute bekannt sind und die diesmal wie „Peaceniks“ die Situation beruhigen und Gewalttätigkeiten verhindern wollten, direkt ins Gesicht geschlagen. Nach Frank Düvell vom Antirassistischen Büro (taz 7.1.) haben wir heute den Aktivisten „gegen Rechts“ und Schulleiter Armin Stolle dazu befragt.
taz: In der Sylvester-Nacht waren viele Schüler der Gesamtschule Mitte am Sielwall...
Armin Stolle: Ich war lange am Goetheplatz, habe da viel diskutiert und die Musik angehört..
HipHop-Fan?
Nein, die Musik ist nicht meine Richtung. Ich war da, weil eine ganze Reihe von Schülern da waren, ehemalige auch. Das war eine tolle Situation. Einer unserer Ehemaligen, der jetzt im Lagerhaus arbeitet, hatte die Musik mitorgnisiert. Der ist bei den Schülern als großer Organisator bekannt.
Dann bin ich gegen halb zwölf zum Sielwall gegangen und habe da natürlich auch wieder Leute von uns getrofffen, die sehr vergnügt mitfeierten. Es waren auch eine Reihe von Kollegen und Eltern da – mit dem Ziel, daß da eine Feier stattfinden kann und nicht von vorn herein Krawall.
Waren auch viele von der Schule Hamburger Straße da?
Viele habe ich nicht gesehen.
War die Feier letztendlich gelungen?
Für mich ist das gelungen. Der Ansatz ist total in Ordnung. Auch die ausländischen Geschäftsleute haben sich sehr engagiert, die haben ja die Rosen verteilt.
Was mir weniger gefiel: daß n die chilenische Musikgruppe an der Sielwall-Kreuzung nicht auftreten konnte. Da sind Knallkörper in den Musikwagen geworfen worden. Da wurde dann nur Disco gemacht. Als dann um halb eins einige ans Mikrophon wollten, ihre Rede halten – da haben wir dann dafür gesorgt, daß das nicht passiert. Insofern waren wir auch ein wenig mit Aufsichtsfunktion da.
Warum sind gerade die kleinen Läden angegriffen worden?
Ich habe früher in der Wulwesstraße gewohnt und bei der Hübscher immer meine Schreibwaren gekauft. Diese Läden, denen da die Scheiben eingeworfen wurden, die haben nie außerhalb dieses Viertels gestanden, die haben immer Verständnis für junge Leute aufgebracht. Häufig passiert es einem im Umgang mit Jugendlichen, daß ausgerechnet die, die eigentlichVerständnis aufbringen, indem sie nach den Ursachen fragen, direkt angegriffen werden. Weil man nicht zulassen will, daß sich eine Verständnisform entwickelt, daß man miteinander redet. Die müssen häufig als erste dran glauben.
Ich vermute, daß es darum ging, gerade auch die zu treffen, die sich beteiligt haben an diesem Fest. Damit die beim nächsten Jahr nicht wieder mitmachen.
Das hieße: es gab doch eine gezielte, durchdachte Strategie derer, die die Scheiben eingeworfen haben?
Ein Protestkalkül. Wobei es immer so ist, daß es Leute gibt, die nur Krawall machen wollen. Auch im Kontext der Friedensbewegung haben wir immer gesagt: Je mehr mitmachen, um so mehr kriegen wir die beteiligten Autonomen in den Griff. Bei der Sylvesterfeier ist das im Ansatz ja gelungen.
Der Innensenator hat nach dem 3. Oktober von einem Versagen der Erziehung gesprochen und damit auch die Schulen gemeint.
Ich halte diesen Vorwurf den Schulen gegenüber für falsch. Es gibt keinen Grundkonsens in der gesellschaftlichen Zielorientierung mehr. Wenn ständig vorgemacht wird, daß der etwas ist, der etwas besitzt und tolle Sachen trägt, der sich durchsetzen kann, dann hat die Schule es sehr schwer, die vermitteln will: es gibt noch Ideale, es gibt Werte wie Solidarität, wie das Miteinander-Gestalten.
Waren es Autonome, die die Scheiben eingeworfen haben? Waren es Schüler?
Ich weiß es nicht, für mich ist das ein Rätsel. Sicherlich ging es vielen auch nicht um den politischen Anspruch. Was mich bei dabei beschäftigt ist die Frage, ob man die nicht hätte beruhigen können, wenn im Vorfeld den bei der Durchsuchung des Sielwall-Hauses vor dem 3. Oktober entstandene Schaden ersetzt Als Geste der Polizei?
Ja. Oder wenn der Innensenator das in seine Hand genommen hätte, als ein Zeichen im Rahmen der Gestaltung der Sylvesterfeier. Die Politik war an dieser Stelle so unbeweglich und so rechthaberisch. Die Administration muß, wenn sie Fehler gemacht hat, mit den Betroffenen sprechen und den entstandenen Schaden ersetzen.
Den Schaden im Sielwall-Haus zu ersetzen wäre ein hinreichendes Signal gewesen, um wesentliche Kräfte aus diesem Potential zu versöhnen?
Davon gegen ich aus. Man hätte einen anderen Ansatzpunkt zum Gespräch gehabt. Das wäre im Vorfeld ein Signal und eine gute Geste gewesen. Fragen: K.W.
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