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Im Gleichschritt ans Netz

Chinas Volleyballerinnen verblüfften beim Traditionsturnier mit militärischem Drill, die Kubanerinnen dominierten auch im Halbschlaf  ■ Aus Bremen Jürgen Francke

Etwas eigenartig war das schon. Gut zweitausend Besucherinnen und Besucher in der Bremer Stadthalle erhoben sich von ihren Plätzen, wandten sich in Richtung Nationenflaggen und lauschten ehrerbietig den Hymnen der Volksrepublik China und Rußland. Nach jeder Hymne klatschten sie dann artig Beifall. Die Referenz war sicherlich nicht den Tiananmen- Verantwortlichen in Peking oder den Kriegsherren in Moskau zuteil geworden, sondern schlicht zwei Juniorinnen-Volleyballteams. Aber denen, die sitzenblieben, war schon recht schaurig zumute. Diese Randerscheinung beim 16. Bremen-Cup, dem nach wie vor bestbesetzten Frauenvolleyball- Turnier in Deutschland, war nicht die einzige Nachlässigkeit in der knapp siebentausend Personen fassenden Halle.

Es stimmte an allen Ecken und Enden nicht. Schon das Teilnehmerinnenfeld erwies sich bald als Mogelpackung. Angekündigt waren Weltmeister und Olympiasieger Kuba sowie der Olympia- Zweite und WM-Dritte Rußland. Die waren dann auch da. Nur: Die Kubanerinnen hatten vor Turnierbeginn noch an ihrem letzten Spielort in Spanien bis tief in die Nacht gefeiert. Resultat: Sie schlurften erschöpft aus ihrem Bus und aufs Spielfeld. Nur gut, daß ihnen ohnehin niemand, weder auf dem Bremer Turnier noch sonstwo auf der Welt, derzeit das Wasser reichen kann.

Die Vertretung Rußlands hat eigene Probleme. Ihre besten Spielerinnen verdingen sich im Ausland. Und da Geld mehr zählt als die Ehre, bleiben diese verdienten Meisterinnen des Volleyballs bei ihren Arbeitgebern. Das von Trainer Nikolai Karpol nach wie vor als Kollektiv betriebene Restaufgebot ist ohne die Stars nur ein sehr junger Talentschuppen. Chinas Situation ist anders. Ihr Trainer sieht Bremen als Zwischenstation für die Weltmeisterschaft der Juniorinnen. Der übrige Weg dorthin scheint, nebenbei bemerkt, aus Drill zu bestehen. Wer den durchweg über 1,80 Meter großen Frauen zum Beispiel beim Aufwärmen zuschaute, fühlte sich auf den Kasernenhof versetzt. Sogar beim Einlaufen mußten die Spielerinnen Parolen im Gleichschritt skandieren.

Und wie gedenkt der Deutsche Volleyball-Verband (DVV) sein Team auf die Olympischen Spiele in Atlanta vorzubereiten? Gar nicht, so hat es den Anschein. Die Verhältnisse im Verband sind verheerend. Der Vorstand wird beinahe geschlossen im Mai zurücktreten, den Verband drücken Millionenschulden, das neue Vermarktungskonzept ist ein schlimmer Flop, und, was noch viel schlimmer ist, Landesverbände, Vereine und selbst einzelne Spielerinnen tanzen lieber auf Privathochzeiten. Das hatte in Bremen zur Folge, daß Bundestrainer Siegfried Köhler mal gerade neun Akteurinnen zur Verfügung hatte, die nach einem 0:3 (10:15, 7:15, 4:15) gegen China auf den vierten Platz kamen. Ohne den sehr bemühten Damen zu nahe treten zu wollen – schließlich beteuerten sie immer wieder, wie ehrenvoll es sei, für Deutschland zu spielen: Außer Zuspielerin Ines Pianka und Mittelblockerin Constanze Radfan standen nur weitgehend unbekannte Talente am Netz.

Nach den Querelen um den Führungsstil Köhlers in der Vergangenheit, als einige altgediente Integrationsfiguren die Klotten einfach hinschmissen, wird jetzt subtil boykottiert. Manche betreiben nur noch Großereignis-Tourismus. In Brasilien zum Beispiel, als Deutschland bei der Weltmeisterschaft überraschend Fünfter wurde, waren alle Frauen an Bord. Danach, bei Lehrgängen oder jetzt in Bremen, fehlen acht bis zehn wichtige Spielerinnen. Beruf, Gesundheit und Heimatverein verhindern die Teilnahme. Und der Bundes-Siggi Köhler guckt gequält in die Röhre. Er ist machtlos. Manchmal entsteht der Eindruck, der DVV bezahlt ihn nicht für eine kontinuierliche Aufbauarbeit, sondern fürs Totärgern.

Sportlich gibt es in diesem Jahr vom Bremer Traditionsturnier also wenig zu berichten. Kuba ist auch im Halbschlaf eine Volleyballwelt für sich. Ihre Athletik, ihr blindes Verständnis machen sie zur Zeit unbezwingbar. Selbst eine im Augenblick indisponierte „Überfliegerin“ Mireya Luis, die in der Hansestadt kaum zum Einsatz kam, ändert daran nichts. Dann zerstören halt Brutalschlägerinnen wie Regla Torres jeden naiven Hoffnungsschimmer ihrer Gegnerinnen. Kuba kann etwas, was der Rest der Welt nicht beherrscht. Sie zermürben ihre Kontrahenten mit Gewalt. Diese Härte lernen sie auf ihren neunmonatigen Reisen pro Jahr. Wo die Zeit zur Regeneration fehlt, und damit auch eine technisch-taktische Weiterentwicklung, da wird dann aufs rohe Knüppeln vertraut. Und es hilft.

Fazit: Das Bremer Turnier, ob nun als Bremen-Cup oder, wie früher, als Werbeveranstaltung diverser Brauereien, wird so schnell nicht totgesagt oder -geschrieben. Im nächsten Jahr soll sogar die europäische Olympiaqualifikation, dann allerdings nur mit vier Teams, ausgespielt werden. Aber die Attraktion eines solchen Ereignisses hängt nun einmal von Leistung, von Sponsorengeldern, gutbezahlten TV-Übertragungen und vor allem von der Publikumsakzeptanz ab. Das sind im Augenblick mehrere Katzen, die sich in den Schwanz beißen.

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