: Etikettenschwindel
■ betr.: „Beim postmodernen Fri seur“, (Erster Drückraum für Fi xer in Frankfurt), taz vom 30. 12. 94
[...] Es fällt auf, daß für die sogenannten Gesundheitsräume keine suchttherapeutischen Argumente genannt werden. Keiner hat die Illusion, durch die sogenannten Gesundheitsräume werden Drogenabhängige zur Abstinenz motiviert! Die Ärzte-Zeitung (15. 11. 94) und die Frankfurter Rundschau (18. 11. 94) bringen es auf den Punkt: „Geschäftsleute zeigen sich erfreut über Fixerräume“ und „Weg vom Elend auf der offenen Straße“ lauteten die Überschriften. Es wird sich also am Elend nichts ändern, nur wird das Elend von der offenen Straße des Bahnhofsviertels hinter die Türen der „Schielestraße“ verborgen, wo es außer von sensationslüsternen Presseleuten von niemandem gesehen wird. Niemand muß es sich ansehen, der es nicht will. Das scheint das Hauptmotiv zu sein: „Die Fixer machen uns das Niveau kaputt“, „Wenn den Süchtigen eine Bleibe angeboten wird, könne sich das durchaus auf die Umsätze des Kaufleute (im Frankfurter Bahnhofsviertel) durchschlagen.“ Der Vorsitzende des Frankfurter Einzelhandelsverband ist auch Vorstandsmitglied „der „Gemeinschaftsaktion gegen Drogenmißbrauch“. Die Zahl der Raubstraftaten im Frankfurter Bahnhofsviertel habe um 20 Prozent abgenommen. Und woanders?
Bei den Fixerräumen handele es sich um „veränderte Möglichkeiten zum Konsum“. Die Gelegenheit zum Konsum besteht allemal. Und das ist nun einmal Fakt: Jeder, der süchtig leben will, kann süchtig leben.
Daran wird ihn kein Gesetz hindern und kein Arzt. Und auch, wenn es meine Aufgabe als Arzt in der Therapeutischen Gemeinschaft ist, Süchtigen bei ihrem schwierigen Weg in das gesunde und suchtmittelabstinente Leben zu begleiten, werde ich es akzeptieren, wenn sich jemand für die Sucht entscheidet. Wenn einer keine ärztliche Hilfe will, dann nehme ich auch dieses ernst und lasse ihn in Ruhe. Die Suchthilfe muß den Anspruch aufgeben, alle Süchtigen erreichen zu wollen. Nicht, weil es ein totalitärer Anspruch wäre, alle Drogenabhängigen zu erfassen,sondern weil ich den Süchtigen, der erklärtermaßen nicht gesund leben will und sich lieber mit Suchtmittelkonsum weiter schädigt, darin ernst nehmen muß. Das ist und bleibt Gesundheitsschädigung, auch wenn es mit sterilen Spritzen abgeht.
Aber es geht nicht nur um den Etikettenschwindel, so wie man massenmörderische Kriegseinsätze inzwischen auch „friedensstiftende Maßnahmen“ zu nennen bereit ist: Was da zu einem sogenannten Gesundheitsraum hochgelobt wird, hat in etwa die Ausstattung eines Badezimmers: saubere Ablage, frisches Wasser, Spiegel. Wer der Meinung ist, daß Drogenabhängige diese Möglichkeiten zu Hause nicht haben, der sollte zur Kenntnis nehmen: Süchtige brauchen Räume zum Leben, nicht nur zum Drücken. Eine Stadtverwaltung, die den Drogenabhängigen nur einen Raum zum Drogennehmen zur Verfügung stellen will, nicht jedoch jedem und jeder seine Wohnung, in der sie tun und lassen können, was sie wollen, und meinetwegen auch Drogen nehmen, aber eben nicht nur das, handelt menschenverachtend.
Es ist ein Alibi, das von dem eigentlichen Problem ablenkt: der Obdachlosigkeit und der sozialen Verelendung. Wer eine eigene Wohnung mit eigenem, sauberem Badezimmer hat, kann dort auch hygienisch, streßfrei und mit geringem Risiko seine Drogen nehmen, und dies, darauf lege ich Wert, auf eigene Verantwortung. Die Verantwortung für den Drogenkonsum und auch für die Art und Weise des Drogenkonsums muß beim Süchtigen bleiben. Gerade weil Süchtige dazu neigen, die Verantwortung für ihr Handeln an andere (Eltern, „die Gesellschaft“, professionelle Helfer) abzugeben, darf da niemand reinpfuschen. Wenn das Personal eines sogenannten Gesundheitsraumes die Verantwortung übernimmt (und man lese bei Körner nach, wofür alles das Personal verantwortlich sein soll), nimmt es den Süchtigen nicht ernst und entmündigt ihn letztendlich. Damit wird die prinzipiell jederzeit mögliche, verantwortliche Entscheidung des Süchtigen, den Weg in ein gesundes und suchtmittelabstinentes Leben zu beginnen, verhindert.
Es wird Bundesländer geben, die sich nicht davon abbringen lassen werden, sogenannte Gesundheitsräume einzurichten. Andere Bundesländer werden es bleiben lassen. Ich wage die Prognose, daß die Länder „mit“ in einigen Jahren mehr Drogenabhängige, mehr soziales Elend und mehr Kriminalität haben werden als „ohne“. Dr. med. Ralf Cüppers,
Sillerup
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen