■ Nebensachen aus Mexiko-Stadt: Nur Esel und Schweine bleiben am zornigen Berg
Als ob die zwanzig Millionen chilangos, die gestreßten BewohnerInnen der wuchernden Metropole, nicht schon genug Sorgen hätten. Chronischer Smogalarm und Verkehrskollaps gehören sowieso längst zum Alltag. Gelegentlich bebt die Erde, die Wände wackeln, und das großspurig angekündigte Vorwarnsystem zeichnet sich durch diskretes Stillschweigen aus. Überhaupt versinkt die Stadt Jahr für Jahr etwa fünfzehn Zentimeter weiter in dem schlammigen Boden, auf dem sie errichtet wurde, die altehrwürdige Kathedrale droht mittlerweile einzustürzen.
Und jetzt meldet sich nach jahrzehntelangem Schweigen auch noch der Popocatepetl wieder. Zwar verteilt der Vulkan, den gerade mal siebzig Kilometer von der größten Stadt der Welt trennen, bislang keine rotglühende Lava, sondern nur ein paar tausend Tonnen feine schwarze Asche über den Häuptern. Dennoch mußten über fünfzigtausend Familien aus dem Umland ihr Weihnachtsfest in Notunterkünften verbringen, Dutzende von Skiläufern wurden von Militär und Rotem Kreuz jäh zum Abbruch ihrer Kletterfreuden gezwungen. Nur Esel, Schweine und Truthähne blieben am Fuß des Granitkolosses in der schwefelhaltigen Luft zurück und warten nun – zusammen mit ihren aufgeschreckten Besitzern –, daß er sich wieder beruhigen möge.
Seit 1919 hatte der Berg, einer von sechzehn aktiven Vulkanen im Lande, nicht mehr solche Töne von sich gegeben. Daß der Popocatepetl ab und an zu qualmen pflegt, hat ihm seinen Namen gegeben: „qualmender Hügel“ hatten ihn die Azteken getauft oder auch – da Rauch in nahuatl gleichbedeutend mit Zorn ist – „zorniger Berg“. Den toltekischen Vorfahren der Azteken galt der Vulkan noch unschuldig als „fliegender Sand“, bis er im vierzehnten Jahrhundert erstmals ganze Wälder und Dörfer unter seiner Glut begraben hatte; neunzehn solcher Wutausbrüche zählen Vulkanforscher bis heute.
Eigentlich aber ist er eher ein trauriger Riese. Vor Urzeiten, so geht eine aztekische Legende, hatte ein junger Krieger seine Geliebte, die Prinzessin Iztacciuatl, vor der Opferung bewahren wollen und kurzerhand entführt. Bei diesem Unternehmen kommt sie jedoch ums Leben, und er bettet ihren Körper auf die Berge. Iztacciuatl wird so zur mujer dormida, zur schlafenden Frau, die den HauptstadtbewohnerInnen an klaren Tagen als sanfte Hügelsilhouette am Horizont erscheint. Ihr Liebster aber hockt sich neben sie, stützt sein Gesicht in die Hände und trauert. Seither wacht der guerrero noble, der edle Krieger, über dem Tal von Anahuac, in dem Mexiko-Stadt liegt.
Ganz verraucht ist seine Wut nie: Jahr für Jahr hatte der „Popo“, wie ihn die Mexikaner liebevoll nennen, Hunderte von Tonnen Schwefeldioxid ausgestoßen. Das vorweihnachtliche Grummeln könnte, so schätzen Fachleute, den „größten Ausbruch in diesem Jahrhundert“ ankündigen; optimistischere Kollegen sprechen von einer „moderaten Eruptivphase“.
Was auch immer die Experten befinden mögen, die mexikanische Regierung hat diese Krise selbstverständlich im Griff: Es bestehe „keinerlei Gefahr“, versichern die zuständigen Behörden bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Die Massenevakuierung sei schließlich „freiwillig“, der sibyllinisch ausgerufene „Voralarm“ lediglich als Hinweis gedacht. Die Bevölkerung glaubt's kaum und verlegt sich lieber aufs Gebet. Etwa Doña Martina, die sich mit ihren 21 Kindern in einer der provisorischen Herbergen notdürftig eingerichtet hat: „In der Nacht, als es losging, haben wir einen Rosenkranz gebetet. Und siehe da, plötzlich wurde der Himmel ganz klar, und es war still. Für einen Moment konnten wir ihn besänftigen. Armer Popo, es scheint, als ob er Schmerzen hat.“ Anne Huffschmid
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