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Künstler in Frauenkörpern

Frauen in der Rockmusik: Gillian G. Gaar hat ihre Geschichte aufgeschrieben – enzyklopädisch  ■ Von Anke Westphal

Zuletzt mußten P.J. Harvey, Björk und Tori Amos dran glauben: Alle paar Jahre wird das musikalische Fräuleinwunder verkündet. Plattenfirmen feiern eine „neue Generation von Sängerinnen“ und die denselben zugeschriebene Entdeckung von – Zutreffendes ankreuzen – Empfindsamkeit/Intellektualität/Wildheit/kreativem Selbstbewußtsein und/oder politischem Engagement. Die Medien greifen den Trend dankbar auf und titeln Frauen.

Die amerikanische Rockjournalistin Gillian G. Gaar ärgerte das so, daß sie sich der Geschichte der Frauen in der Rockmusik angenommen hat. Geärgert hat Gaar vor allem zweierlei. Zum einen, daß in der Musikbranche arbeitende Sängerinnen, Musikerinnen, Managerinnen und Technikerinnen immer wieder zuerst als Zugehörige zum weiblichen Geschlecht und erst dann über ihre berufliche Professionalität wahrgenommen und – was folgenreicher ist – beurteilt und vermarktet werden. Zum anderen wollte Gillian G. Gaar sich nicht damit abfinden, daß geschichtliche Kontinuitäten verwischt werden und Künstlerinnen aus den frühen Jahren des Rock 'n' Roll unsichtbar bleiben.

Das Produkt von Gaars Verärgerung ist ein umfassend recherchiertes, kompetentes, gut geschriebenes, für alle verständliches, bildendes, spannendes, politisch korrektes und humorvolles Buch. „Rebellinnen“ untersucht Rockgeschichte mit feministischer Brille, ohne zu ghettoisieren. Um es zusammenzufassen: „Rebellinnen“ ist ein größeres Wunder.

Gaar schafft dieses Mirakel, indem sie – chronologisch vorgehend – Geschichte in vielen kleinen konkreten Geschichten und Biographien erzählt – das schlichteste wie effektvollste Mittel, um politisch Globales anschaulich zu machen und Persönliches in gesellschaftliche Entwicklungen zu integrieren. Schon wenn man im Leben der frühen R&B-Stars Big Mama Thornton und Ruth Brown schmökert, erfährt man weit mehr als Biographie: Labelstories, Rassismus, Geschichten um Liebe, Drogen, schlechte Verträge, nicht gezahlte Tantiemen, gefälschte Copyrights, Armut, Erfolg und wieder Armut. Phil Spectors Ehe mit Ronnie „Ronettes“ ist in „Rebellinnen“ ebenso nachzulesen wie der Aufstieg des Labels Motown. Man tummelt sich in Informationen und Zusammenhängen: hier die Bandhistorie der Bangles, da teilte sich Patti Smith mal mit dem Fotografen Mapplethorpe ein Zimmer im „Chelsea“. Als Fußnoten gibt es Herkunft und Bedeutung von Worten wie „Tape-Loop“, „Gender Bender“, „Rap“ oder „Overdubbing“.

Daß Gillian G. Gaars „Hall Of Fame“ solide aus begrifflichen Ziegelsteinen gemauert ist, bekommt ihr vorzüglich. „Rebellinnen“ setzt mit dem Rhythm & Blues, den Wurzeln der „Künstler in Frauenkörpern“, ein und führt über Girlgroups, British Invasion, Protest- und Frauenbewegung, Discojahre und Punk zu den mehr oder weniger prominenten Namen dieser Tage. Wenn man so will, eine Reise von Big Mama Thornton über Mary Hopkins und die Runaways hin zu Madonna, L7 und Diamanda Galas. Die honorige Sachlichkeit in der Darstellung geht dabei nie auf Kosten von dezenten Auslegungen mit Unterhaltungswert. Die Leser dürfen sich am „überaus qualvollen Gesangsstil“ der Performerin Diamanda Galas freuen (deren Arbeit jedoch Respekt erwiesen wird) und darüber, daß die pubertierende Sinead O'Connor begann, „sich als Ladendiebin zu betätigen“.

In Gillian G. Gaars Sichtweise ist die Geschichte der Frauen in der Rockmusik ein langer, bunter Weg mit vielen verschlungenen Abzweigungen, der auch mal Einbahn- und Umgehungsstraßen zeigt. Das amerikanische Lesben- Label Olivia war, kommerziell gesehen, eine weniger einträgliche, als es die konventionelle „Tanz- Diva“ Gloria Estefan ist. Dabei beschreibt Gaar das Dilemma des Separatismus von „Frauenmusik“ und „Lesbenmusik“ mit dem gleichen kritischen Bedauern wie die Wiederkehr des hübschen Abziehbilds in Paula Abdul. Ein weiteres Wunderbares an Gaars Darstellung ist neben der humorigen Kompetenz die vollkommene Abwesenheit jeglichen Fundamentalismus. Erfolgreichen Frauen, die – aus welchen Gründen auch immer – nichts mit dem Feminismus am Hut haben, gönnt die Feministin Gaar den Erfolg, ohne beleidigt zu sein oder Bekenntnisse nachzureichen. Gaar nutzt ihre Biographien einfach, um die Vielfalt von Stilen, Haltungen – und deren Konsequenzen zu illustrieren. Was für Gaar – grob vereinfacht – zählt, ist die Arbeit mit der Musik und wie Frauen dabei wann und warum be

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hindert oder unterstützt wurden. Da schießt sie schon mal zu sehr ins Positive, wenn sie die „Veränderung der Welt durch Rockmusik“ und die „praktisch unbegrenzten Möglichkeiten der Frauen“ dabei beschwört.

Dieser allzu leuchtende Blick sei verziehen, und es sei auch verziehen, daß der Blues in diesem Buch wieder mal „erdig“ ist. Immerhin ist Suzie Quatros Rehabilitation als „ernsthafte Künstlerin“ mit Gaars „Arbeits“-Ansatz ebenso unangestrengt möglich wie die Karen Carpenters – das tragische „nice american girl“ starb mit 32 Jahren an Magersucht. Gillian G. Gaar ist nicht genug dafür zu danken, daß Fälle wie der Karen Carpenters nicht einmal mehr zum bloßen Beispiel für traditionelle weibliche Rollenzwänge degradiert werden. Die Autorin verbindet das knifflige Zusammenspiel von privaten Dramen und gesellschaftlichem Hintergrund sensibel und bleibt dabei selbst als Mensch sichtbar – wieder ein Wunder. „Rebellinnen“ erzählt selbstverständlich, wie mit „Titten und Ärschen“ umgesprungen wurde und wird, verschweigt aber auch nicht, daß die meisten befreienden Erfolge im Klischee münden. Suzanne Vegas Ruhm und die nachfolgende Ausrufung der „natürlichen Songwriterinnen“ à la Tracy Chapman und Michelle Shocked ist da nur ein Beispiel.

Nein, Gillian G. Gaar ist keine tendenziöse Wiederkäuerin von Dogmen. Sie will die Pop-Theorie nicht neu erfinden und konstruiert auch keine Hierarchie der Diskriminierungen. Rassismus, Chauvinismus und Homophobie sind für Gaar so entwürdigend wie Sexismus und fremdgeleitete Vermarktung – alles hängt mit allem zusammen, und Gaar erzählt, wie es zusammenhängt. Beispiel: Die R&B-Sängerin Etta James wurde in den 50ern nach einem Auftritt mit der Flinte bedroht, weil sie nicht das – von Kakerlaken wimmelnde – Klo für Schwarze benutzen wollte. 30 Jahre später werden extra schwarze, lateinamerikanische und asiatische Frauen für Bands rekrutiert, um die Kaufkraft aller Bevölkerungsgruppen abzuschöpfen.

Anmerkung zum Schluß: Dieses Geschichtenbuch ist eine Enzyklopädie. Archive, Zeitschriften, Memoiren, Notierungen im „Billboard“, Konzertkritiken, Geschäftsberichte von Plattenfirmen, Rezeptionsgeschichte und Plattenverkaufszahlen hat Gaar ausgewertet. Sie hat unzählige Interviews geführt, mit Holly Near und Laurie Anderson gesprochen. Es gibt ein gutes Literaturverzeichnis, Namens-, Songtitel-, Sach- und Plattenregister. So viele Fakten über – nicht nur Frauen in der – Musik bekommt man selten auf einmal so kurzweilig serviert. Einzig betrüblich sind die Satzfehler („Banagles“ im Inhaltsverzeichnis!). Dennoch – „Rebellinnen“ ist unbedingt ein Standardwerk. Ein Schuft, wer Arges dabei denkt.

Gillian G. Gaar: „Rebellinnen. Die Geschichte der Frauen in der Rockmusik“. Aus dem Amerikanischen von Heike Brühl. Argument Verlag, 462 Seiten, 39 DM.

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