: Bad in schillernden Klangfarben
■ Gelungener Einstand: Thomas Hengel-brock dirigierte sein erstes Abonnements-konzert mit der Kammerphilharmonie
Zwar hatte der neue und erste musikalische Leiter der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, Thomas Hengelbrock, versichert, er sei für die diesjährige Programmgestaltung noch nicht zuständig, aber mit dem ersten schien er sich doch vollkommen zu identifizieren. Dabei riß das angekündigte Programm das Publikum auf den ersten Blick nicht eben vom Stuhl: Richard Strauß und Wolfgang Amadeus Mozart. Auf den zweiten Blick jedoch zeigte sich ein hohes Niveau der Interpretationen. Ein geheimes und feines Netz der Beziehungen unter den Komponisten offenbarte sich plötzlich. Mehr noch: Das Konzert förderte auch unbekannte Seiten der beiden, vermeintlich altbekannten Komponisten zutage.
Straußens Vorbild war – mindestens seit dem Rosenkavalier – Mozart, den er auch freilich gründlich mißverstand: Die (angebliche) Heiterkeit und Anmut hielt er für die Hauptkriterien von MozartsMusik. Noch das Vorspiel zu Strau-ßens letzter Oper „Capriccio“ in
Hengelbrocks Dirigat: sehr spontan, nie von oben herab
der Fassung für Streichsextett macht das deutlich: eine geradezu berückende Klanglichkeit, ein Wunder an zartester Polyphonie. Man kann nicht davon ausgehen, daß Mozart mitten im Zweiten Weltkrieg – das Stück ist 1940/41 geschrieben – eine derartig blauäugige ästhetische Position eingenommen hätte. Gleichwohl: großartig und ungemein verführerisch gespielt von den MusikerInnen der Kammerphilharmonie.
Eine ganz eigene Spannung und Trauer jenseits falscher Schönheit besitzt hingegen Straußens Alterswerk, die „Metamorphosen“ für 23 Solostreicher; diesen liegt der Trauermarsch aus Beethovens Eroica zugrunde. Hengelbrock entfaltete das Geflecht dieser Komposition mit einer Sorgfalt und Umsicht, die etwas von der Tragik eines Komponisten vermittelte, der sein Jahrhundert anscheinend irgendwie nicht richtig zur Kenntnis nahm: ein Abschiedsgesang von seltener Eindringlichkeit.
Diese Auseinandersetzung mit einem an sich zeitfremden Stil hatte in diesem Programm ihre Parallele in der Wiedergabe des Adagio und Fuge in c-Moll KV 546 von Wolfgang Amadeus Mozart: Fugenpartituren von Bach hatten ihn existentiell getroffen und die Form der Fuge begleitete ihn bis zum Tod. Rätselhaft das ursprünglich für zwei Klaviere geschriebene Werk: herb, experimentell und doch immer wieder voller Ausdruck.
Eine Wiedergabe, die man in dieser Stadt leider immer noch viel zu selten hört, war in der „Linzer“ Sinfonie, KV 425, zu erleben. Das gilt für den unendlichen Reichtum von Klangfarben und Artikulationen, der allen Motiven und harmonischen Gefügen einen vollkommen eigenen Raum zu geben schien. Das gilt ebenso für eine perfekte Balance zwischen Bläsern und Streichern, einen aus barockem Geist geborenen unerschöpflichen Sprach- und Gestenfundus. Hengelbrock dirigiert sehr spontan und scheinbar regellos, nie von oben, was sicher dann auch einige Ungenauigkeiten besonders bei Auftakten bewirkt. Es garantiert aber gleichzeitig die schillernde Menge an Farbklängen, die diese Wiedergabe so aufregend machte. Ein gelungener Einstand für die Abonnementssaison! Ute Schalz-Laurenze
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