: Auch die SPD hat Leichen im Keller
■ Der Soziologe Klaus Gietinger hat die Hintergründe der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht untersucht: Der SPD-Reichswehrminister Gustav Noske hat ein indirektes Einverständnis für den Mord gegeben
Am 15. Januar jährt sich der Tag der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Der Soziologe und Filmemacher Klaus Gietinger hat die Hintergründe des Mordes untersucht und darüber ein Buch geschrieben. Titel: „Eine Leiche im Landwehrkanal“.
taz: Inwieweit war der spätere SPD-Reichswehrminister Gustav Noske mitverantwortlich für die Ermordung?
Klaus Gietinger: Noske hat eine grundsätzliche Verantwortung, weil er zweifelsfrei die juristische Aufklärung der Morde verhindert hat. Dafür gibt es ganz klare Belege. Außerdem gibt es Hinweise von Hauptmann Pabst, der die Morde befohlen hat. Danach habe er ein indirektes Einverständnis von Noske bekommen.
Welcher Art war dieses Einverständnis?
Waldemar Pabst hat in seinen Memoiren geschrieben, es sei ein grundsätzliches Übereinkommen von Noske und ihm gewesen, daß man Luxemburg und Liebknecht beseitigen müsse. Noske war im damaligen Rat der Volksbeauftragten der sogenannte Oberbefehlshaber in den Marken und wurde dann später Reichswehrminister. Er hat sehr eng mit Pabst zusammengearbeitet, der ganz klar ein Feind der Demokratie und Republik war. Die Taktik von Pabst war, erst einmal mit den Sozialdemokraten zusammenzuarbeiten, um die Revolution niederzuschlagen, bevor es dann gegen die SPD selbst gehen sollte. Pabst hat dann gemerkt, daß er sehr gut mit Noske zusammenarbeiten kann, und ihm später sogar angeboten, in einer von ihm angestrebten Militärdiktatur mitzuarbeiten. Das hat Noske aber abgelehnt.
Woher stammen diese Informationen?
Pabst hat 1968 dem Rechtsanwalt Otto Kranzbühler, zu dem er sehr großes Vertrauen hatte, die damaligen Vorgänge erzählt. Kranzbühler war der Anwalt von Dönitz und Krupp in den Nürnberger Prozessen und war in den sechziger Jahren auch Anwalt eines Mannes, der ebenfalls in diese Morde verstrickt war. Kranzbühler, den ich für eine sehr verläßliche Quelle halte, hat wiederum mir diese Dinge erzählt.
Was geschah nach der Festnahme von Luxemburg und Liebknecht?
Pabst gestand Kranzbühler, daß er nach der Festnahme von Liebknecht und Luxemburg Noske angerufen habe, um den Befehl zur Ermordung zu erhalten. Noske habe zunächst gesagt, nein, er könne den Befehl nicht geben, daran würde die Partei zerbrechen. Noske schlug deswegen vor, Pabst solle sich die Erlaubnis von seinem militärischen Oberbefehlshaber, General von Lüttwitz, einholen. Pabst habe entgegnet, er werde von Lüttwitz diesen Befehl nicht erhalten. Daraufhin habe Noske geantwortet, dann müsse Pabst selbst verantworten, was zu tun sei.
Ist auch die Art besprochen worden, wie der Mord zu geschehen habe?
Pabst will gesagt haben: Herr Noske, geben Sie bitte Befehl über das Wie. Noske antwortete, das sei nicht seine Sache.
Wieweit wußte die SPD-Führung von den Mordabsichten?
Ich vermutete, daß Ebert und der Rest der Regierung von diesem Telefonat nichts wußten und Noske davon auch nichts gesagt hat. Andererseits aber waren alle eigentlich froh, daß die zwei „Unruhestifter“, wie Noske sie bezeichnet hat, unschädlich gemacht wurden. Die SPD hatte vor der Ermordung indirekt zur Beseitigung von Luxemburg und Liebknecht aufgerufen. Es gibt beispielsweise ein Gedicht im Vorwärts, das praktisch ein Mordaufruf war.
Warum hat sich die Geschichtsforschung so wenig mit dem Thema beschäftigt?
Die Geschichtsforschung hat sich immer mal wieder damit beschäftigt, aber das waren hauptsächlich Leute aus der DDR. Und das Interesse dort war begrenzt, weil auch der erste DDR-Staatspräsident Pieck in den Mord verstrickt war. Pieck wurde damals zusammen mit Luxemburg und Liebknecht von Pabst verhaftet. Pabst hat später mehrfach gesagt, Pieck habe im Verhör „Leute verpfiffen“, um wieder freizukommen. Deswegen hat sich auch die DDR- Forschung ein bißchen zurückgehalten.
In der BRD der Adenauer-Ära war das erst recht kein Thema.
Ja. Die zwei waren weg, das hat erst mal genügt. In der Adenauerzeit gab es 1962 ein Kommuniqué der Bundesregierung, in dem die Morde als standrechtliche Erschießung bezeichnet wurden. Das hat Pabst natürlich sehr gut gefallen.
Vor welchem Hintergrund hat die Bundesregierung diese Stellungnahme abgegeben?
Pabst hat diese Vorgänge 1961 erstmalig in einem von ihm mitherausgegebenen rechtsradikalen Blatt veröffentlicht. Er hatte auch sehr gute Drähte nach Bonn. Ein Zwang zur Stellungnahme bestand für die Bundesregierung nicht, das war einfach zur Entlastung der Beteiligten gedacht.
Das war quasi eine Rehabilitation.
Ja. Man muß auch sehen, daß diese Morde kurz nach dem Zweiten Weltkrieg als Verbrechen gegen die Menschlichkeit galten. Da hat dann die Justiz ermittelt, weil sich immer mal wieder einige Beteiligte ihrer Tat rühmten und behaupteten, sie hätten damit das deutsche Vaterland vor dem Bolschewismus gerettet. Da ist es aber nie bis zu einem Prozeß gekommen. Pabst beispielsweise wurde gerichtlich nie belangt. So gesehen war die Stellungnahme der Bundesregierung von 1962 auch ein Indiz für die gesellschaftliche Restauration, die inzwischen stattgefunden hatte.
Es wurde aber in den sechziger Jahren noch einmal über den Fall gerichtlich verhandelt.
1969, zum fünfzigsten Jahrestag der Ermordung, gab es ein Fernsehspiel. Dort hat der Autor Dieter Ertel die ganzen Hintergründe aufgedeckt und hat mit Hermann Souchon auch den Mann genannt, der Rosa Luxemburg erschossen hat. Dieser Souchon hat dagegen geklagt. Es ist also nicht der Mörder vor Gericht gestellt worden, sondern der, der den Mord aufgeklärt hat. Souchon hat damals recht bekommen, und zwar deswegen, weil man Pabst als alten, senilen Trottel dargestellt hat. Der eigentliche Witz aber war, daß man sich auf die Kriegsgerichtsakten von 1919 berufen und die als wahr angesehen hat. Dabei waren das die Akten, die Pabst und die anderen Beteiligten selbst gefälscht hatten.
Hoffen Sie, daß die Aufklärung des Mordes Auswirkungen auf die Debatte der Linken hat?
Ich habe das Gefühl, die SPD ist momentan sehr selbstgerecht. Sie tut so, als wäre sie schon immer und überall die absolute Hüterin der Demokratie gewesen und habe keine Leichen im Keller. Das stimmt eben nicht. Interview: Gerd Nowakowski
Unter dem Titel „Geschichte wird gemacht“ gibt es am morgigen Samstag in der „Urania“ eine Veranstaltung zu den Hintergründen der Ermordung von Liebknecht und Luxemburg. Um 18 Uhr wird der Film „Rosa Luxemburg“ von Margarethe von Trotta gezeigt, anschließend diskutieren Klaus Gietinger, Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza, Tilman Fichter (SPD), Annelies Laschitza (Luxemburg-Forscherin), Dr. Helmut Trottnow (Historisches Museum) sowie Prof. Diethard Kerbs (HdK).
Ort: Urania, Kleiststraße 13.
Gedenkveranstaltung Sonntag, von 9 Uhr bis 13 Uhr an der Gedenkstätte in Friedrichsfelde
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen