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Das industrielle Wintermärchen

Vor 450 Millionen Fernsehzuschauern gewinnt der Franzose Luc Alphand äußerst werbewirksam inszeniert auf echtem Schnee zweimal hintereinander die gekürzte Kitzbüheler „Streif“  ■ Aus Kitzbühel Walter Metzger

„Allez! Allez! Allez!“: Lauthals beginnen drei grauhaarige Männer im Zielraum zu schreien, als die Nummer 14, eine stiebende Schneefahne hinter sich herziehend, an der Hausbergkante sichtbar wird. Der Läufer verschwindet kurz in der Kompression, meistert den Schlußsprung in der Abfahrtshocke und schwingt bei 1.40,33 Minuten ab. Bestzeit. Hüpfend und rufend versucht der Kleinste aus dem Trio – Vater Alphand – zu seinem Sohn durchzudringen. Vergeblich.

Die Aufregung ist verständlich. Luc Alphand hat in diesem Moment zum zweiten Mal an diesem Samstag die berühmt-berüchtigte „Streif“, die Abfahrt von Kitzbühel gewonnen. Damit hat der 29jährige Franzose nicht nur seine ersten Weltcupsiege, sondern auch gut 85.000 Mark eingeheimst. Mit dem Sieg im Super-G der Damen in Garmisch durch Florence Masnada bedeutet das vordergründig einen dreifachen Erfolg für die Equipe Tricolore. In Wahrheit und vor allem aber ist es ein Erfolg für die durch viele schneearme Winter krisengeschüttelte „weiße Industrie“. Die Kameraleute zoomen weltweit 450 Millionen Fernsehzuschauern metertief im Pulverschnee verschneite Felmassive vor blauem Himmel ins Stüberl. Rücken die mit der weißen Pracht beladenen Heustadldächer und Tannenbäume ins Bild. Eine eindrucksvollere Kulisse können sich die Sponsoren für ihre Werbeträger, all die Heißluftballons, Transparente und Athletenkörper, gar nicht wünschen.

Die Rennläufer sind mehr oder weniger Staffage. Die Abfahrten, so Kitzbühels Fremdenverkehrsdirektor Hermann Fercher, seien lediglich „Tupfen auf dem ,i‘ eines Wintertraums“. Wären sie wegen der starken Neuschneefälle ausgefallen, hätte selbst das noch „eine Spitzenwerbung“ bedeutet.

Richtiger Schnee ist halt allemal werbewirksamer als das Kunstprodukt aus den Schneekanonen, die gerade für 15 Millionen Mark entlang der Streif installiert worden sind. „Die Natur hat die menschlichen Wettermacher auf eindrucksvolle Art blamiert“: so überschütteten deshalb die örtlichen Grünen die alpinen Wettrüster mit Häme.

Der Anmarsch zum Vormittagsrennen wird zur großen Show der Schweizer Schlachtenbummler. In Kolonnen ziehen sie mit bombastischen Kuhglocken und Blasinstrumenten, fellüberzogenen Tornistern, Kraxen mit Brennholzbündeln und Brettln aus der Steinzeit des Skilaufes an den Wichtigtuern vorbei, die am Straßenrand ihr Handy ans Ohr pressen.

Gleich der erste Starter, der Südtiroler Werner Perathoner, segelt beim Schlußsprung spektakulär sechzig Meter durch die Luft; er stürzt kurz vor dem Ziel. Sein Landsmann Pietro Vitalini donnert kurz vor dem Zielschuß über den Absperrzaun, schlägt im Tiefschnee seitlich der Piste fünf Salti. Während denen im Zielraum noch der Atem stockt, kalauert Platzsprecher Michael Horn kaltschnäuzig: „Als Adler gestartet, und als Bettvorleger gelandet.“

Die klirrende Kälte und der überragende Luc Alphand dämpfen die Volksfeststimmung. Auch der schwergewichtige Österreicher Patrick Ortlieb kann im ersten Rennen den Franzosen nicht vom obersten Platz auf dem „Stockerl“ verdrängen. Das Kuhglockengetöse flaut ab, nachdem die Athleten im Emmentaler-Renndreß auf der Ergebnisliste nach hinten rutschen. Die schwarzhaarige Heidi, die mit dem fünfzigköpfigen Fantroß „Bruno Kernen“ aus Interlaken angereist ist, hofft auf den zweiten Durchgang. „Der kommt schon noch“, sagt sie kehlig, nachdem ihr Idol zunächst auf Platz 25 gelandet ist.

Das eigentliche Hahnenkammrennen ist erst mittags angesetzt. Die VIP-Tribüne füllt sich, Österreichs Bundeskanzler und Tirols Landeshauptmann haben dort Platz genommen. „Wasi“, der omnipräsente Doppel-Olympiasieger, stolziert im Renndreß durch schulterklopfende deutsche Touristenmassen. Franz Klammer, der viermalige Streif-Sieger, läßt sich dagegen vom Objektiv der RTL- Kamera wegscheuchen.

Rund zwei Stunden nach dem Start reißt der Ungar Alex Mair im Ziel die Arme hoch. Mit 7,09 Sekunden Rückstand auf Alphand ist er Vorletzter vor einem Schweden geworden. Der Sieger – der wegen seines dunklen Teints „der Afrikaner“ genannt wird – ist derweil immer noch umringt von Journalistenpulks. Heide und ihre Schweizer Fankollegen umlagern inzwischen bereits frustriert die Schnaps- und Glühweinstände in der Innenstadt – ihr Bruno Kernen ist wieder nicht schnell genug gerast: auf Platz 21 liegt er gar zwölf Ränge hinter dem Deutschen Stefan Krauss.

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