: Im Malestream
■ betr.: „Rätselhafte Schambeinwöl bung“ von Christian Gampert, taz vom 9. 1. 95
Gampert beendet seinen Artikel mit den Worten: „So ist offenbar auch die Eiszeit ein weites Projektionsfeld für die Wissenschaft“ – eine weise Erkenntnis, und keineswegs verblüffend. Warum sollte gerade die Urgeschichtsforschung davon ausgeschlossen sein? Ich möchte kurz zwei Beispiele ausführen, die zeigen, wie der Autor selbst auf unhinterfragte Projektionen der Urgeschichtswissenschaft hereingefallen ist.
„Am Anfang war die Gebärmutter?“ Der Autor stimmt jedenfalls in den allgemeinen Fruchtbarkeitschor über die steinzeitlichen Frauenstatuetten ein. Beweis für seine Deutung: die Statuetten weisen „überdimensionierte Brüste und Bäuche, eine angedeutete Scham, charakteristischerweise aber nie ein Gesicht“ auf. Will heißen: Frauen wurden als anonymes Gefäß für die Schwangerschaft, keineswegs aber als Denkerinnen dargestellt. Mit dieser Einschätzung liegt Gampert durchaus im Malestream von über 150 Jahren Urgeschichtsforschung, was nicht unbedingt für die These sprechen muß (s.o.).
Sehen wir uns doch einmal die sogenannte „Venus“ von Willendorf an: dieses „beeindruckend wülstige Wesen, das praktisch nur aus Schwangerschaft besteht“ (O-Ton!), besitzt übrigens auch beeindruckend wülstige Oberschenkel, eben passend zu dem dickleibigen Körper. Den (wortführenden) Männern, die in üppigen weiblichen Körperformen einen Beweis für Schwangerschaft sehen, täte eine Einführung in die menschliche Anatomie gut. Was die durchaus übliche Darstellung der frühen Frauenfiguren ohne Gesicht und Füße betrifft, so müssen wir einräumen, daß die Motive der HerstellerInnen vor über 30.000 Jahren außerhalb der uns gewohnten Denkmuster und Zeichenperspektiven liegen. (Ein guter Denkanstoß zu diesem Thema stammt von der Ur- und Frühgeschichtlerin Elke Heidefrau, deren Vortrag beim Treffen des „Netzwerks archäologisch arbeitender Frauen“, Tübingen 1994 im Rahmen einer Dokumentation demnächst erscheinen wird.)
Apropos Anatomie: Die Geschlechtsbestimmung der Figur aus dem Hohlenstein-Stadel erregte für einige Zeit die Aufmerksamkeit von WissenschaftlerInnen. Elisabeth Schmids Aussagen zu dieser Figur wurden in Gamperts Artikel jedoch nur als Pointe benutzt und so verkürzt wiedergegeben, daß sie nicht mehr nachvollziehbar waren. Sie bezeichnete die Figur nicht einfach deshalb als weiblich, weil sie in der „Wölbung“ ein weibliches Schambein sah. Statt dessen berief sie sich unter anderem auf den Fund von weiteren zu der Figur passenden Elfenbeinlamellen, die die Rekonstruktion einer Brust erlaubten. (Für die ausführliche Begründung: Elisabeth Schmid, Die altsteinzeitliche Elfenbeinstatuette aus der Höhle Stadel in Hohlenstein bei Asselfingen, Alb-Donau-Kreis. In: Fundberichte aus Baden-Württemberg 14, 1989, S. 33-96). Das unter der „Wölbung“ sichtbare Gehängsel sieht sie als einen Lendenschurz an. Merke: nicht alles, was zwischen den Beinen hängt, muß ein Penis sein. Sigrun M. Karlisch, Münster
Falls sich Herr Gampert tatsächlich für steinzeitliche Kunst interessieren sollte, und nicht nur für seine Sicht der Dinge, sei ihm die Ausstellung „Sprache der Göttin“ im Wiesbadener Frauenmuseum empfohlen. Seine Behauptung: „Für den Künstler war der Löwenkopf sicherlich ein Potenzsymbol“, ist rein spekulativ und typisch für männerdominierte Interpretation vorgeschichtlicher Kunst.
Die Frau von Willendorf ist übrigens keineswegs schwanger, dafür aber älter als die Löwenfrau (zirka 34.000 v.u.Z.)
Ein schlecht recherchierter Artikel, tendenziös und schwanzgesteuert. Ausgerechnet in der taz! Katrin & Ralph Kipke, Dresden
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