: Die PDS an ihrer Schmerzgrenze
■ PDS-Chef Lothar Bisky will Erneuerung Er und Gregor Gysi drohen mit ihrem Rücktritt
Berlin/Magdeburg (taz) – Der Bundesvorsitzende der PDS, Lothar Bisky, ist sich seiner selbst noch sicher. Er sei, so versichert er im Interview mit der taz, kein Sozialdemokrat. Zweifel an dieser Selbsteinschätzung keimt in der PDS, seit der Bundesvorstand im Dezember „Zehn Thesen zum weiteren Weg der PDS“ vorgelegt hat. Programmatischer Kernpunkt des Papiers ist die Forderung nach einem „neuen Gesellschaftsvertrag“, mit dem, so Bisky, „ein anderer Konsens in der Gesellschaft“ erreicht werden soll. In den will der Vorsitzende auch Unternehmer einbeziehen. Doch die damit verbundene Absage an den Klassenkampf stößt in der PDS ebenso auf Widerspruch wie Biskys klares Verdikt, ein Zurück zu den Strukturen des realen Sozialismus solle es nie wieder geben. Jetzt drohen Bisky und Fraktionschef Gysi für den Fall einer Niederlage auf dem Parteitag mit ihrem Rücktritt.
Die Vertreterin der Kommunistischen Plattform im Vorstand, Sarah Wagenknecht, verlangte während der Vorstandsberatungen, die zehn Thesen abzulehnen. Einigen anderen PDS-Genossen, wie dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Uwe-Jens Heuer, geht der Abschied vom Klassenkampf zuweit. Bisky schätzt den Kreis der DDR-Nostalgiker in der PDS auf unter tausend. Wie groß ihr Einfluß ist, wird der Parteitag Ende Januar erweisen.
Öffentlich wollte Bisky zu seinen Personalvorstellungen nicht Stellung nehmen, doch gelten der Wahlkampfmanager André Brie und die Sprecherin der AG Junge GenossInnen, Angela Marquardt, als Favoriten für den Posten des stellvertretenden Vorsitzenden. Den hatte bislang die wegen ihrer Stasi-Belastung aus der Bundestagsfraktion ausgeschiedene Kerstin Kaiser-Nicht inne. Die Magdeburger Fraktionschefin Petra Sitte soll in den Vorstand aufrücken, dafür soll Wagenknecht ihren Posten räumen. Bisky: In der Frage der Erneuerung müsse es 1995 „zu Entscheidungen kommen“. Bisky will seinen weiteren Verbleib in der Parteispitze von der Verwirklichung seiner Positionen abhängig machen. Mittlerweile ist es Bisky gelungen, Hans Modrow für seine Position zu gewinnen. Mit diesem und dem Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi zusammen hat Bisky am Wochenende fünf Thesen vorgelegt, in denen die drei ihre Absage an „stalinistische Auffassungen“ bekräftigen.
Wie Bisky hat auch Gysi sein politisches Schicksal mit der Annahme dieser fünf Thesen verbunden. „Der Parteitag wird die Thesen annehmen“, ist Gysi noch hoffnungsfroh. „Wenn allerdings eine Mehrheit der Delegierten diametral anderer Meinung ist, werden wir unsere Konsequenzen ziehen.“ Mit heftiger Kritik reagierte Gysi auf die Thesen Wagenknechts. „Wenn man wie sie sagt, daß der Sozialismus erst nach dem Tode Stalins auf dem 20. Parteitag der KPdSU verraten wurde, dann ist damit die Schmerzgrenze der PDS überschritten.“ Dieter Rulff/Eberhard Löblich
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