■ Tour d'Europe: Montelepre
Der Ort gehört, nach der Beobachtung eines Korrespondenten des Guardian, „zum Häßlichsten, was Sizilien zu bieten hat“. Und doch: An Verkehr und Tourismus fehlt es ganz und gar nicht, trotz des Mangels an Unterkünften und Hotels. Montelepre, gut 30 Kilometer von Palermo entfernt im Landesinneren, hat etwas, wovon andere Gemeinden nur träumen können – einen Anziehungspunkt jenseits des Kunst- und Badeverkehrs. Es ist das Grab des Banditen Salvatore Giuliano, der 1954 nach gut zehn Jahren Kampf als Outlaw im Zusammenspiel von eigenen Leuten und Polizisten erschossen wurde.
Giuliano gilt nicht nur in Italien, sondern fast schon weltweit als höchster Bannerträger regionalnationalistischen Bewußtseins, als militanter Separatist par excellence, ausgestattet dabei natürlich mit der in solchen Fällen üblichen Robin-Hood-Aura. Sein Kampf gegen die Polizisten aus Rom entsprang ursprünglich dem ganz profanen Motiv, daß er während einer Schmuggelfahrt einen Kontrollbeamten umgebracht hatte – der Weg „in die Berge“ war damit vorgezeichnet; doch dann entwickelte sich dieser Weg aufgrund historischer Konstellationen – des Zusammenbruchs des Faschismus und der Renaissance-Bestrebungen der während der Einigungskriege dezimierten Feudalherren – zum regelrechten Freiheitskampf der Insulaner.
Giulianos Neffe hat aus der in den späten 80er Jahren gewachsenen Neubewertung des einst eher verfemten Haudegens ein gutes Geschäft gemacht: In einer Kitschburg namens „Giuliano's Castle“ pflegt er den Mythos des als Frauenheld bekannten Schießkünstlers, der zeitweise allein zwei bis drei Dutzend Carabinieri in Schach hielt und mit seiner mitunter auf 800 bis 1.000 Mann angewachsenen Armee allen Ernstes einen separatistischen Aufstand gegen gut 10.000 Soldaten durchzuführen suchte.
Im Geburtshaus Giulianos bewahrt sein Neffe weitere Devotionalien auf. Sein Gewehr, ein Fernrohr, seine Brille, Dutzende Fotos, die ihn auch an der Seite amerikanischer Offiziere zeigen (Giuliano wollte Sizilien als 50. Bundesstaat an die USA ankoppeln); der Fluchtweg vor Häschern ist noch immer begehbar.
Nach Montelepre wallfahren heute Bosnier, Kroaten, Slowenen, Montenegriner und Albaner. Tschetschenen haben in der Grabgruft ein moslemisches Gebetstuch hinterlassen, Südtiroler „Bumser“ aus der Zeit der Dynamitanschläge sind hier ebenso gesichtet worden wie Iren aus der Freiheitsbewegung. Basken haben sich ins Besucherbuch eingetragen – aber auch Mailänder, besonders in jüngster Zeit, als die oberitalienische Region sich von Rom lossagen wollte und dabei nach einem Vorbild gesucht hat. Das Paradoxe daran: Viele jener Lombarden, die so auf Abspaltung von Rom drängen, versehen gleichzeitig alle Süditaliener mit rassistischen Beschimpfungen („Terroni“, Erdfresser).W. R.
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