: Furcht vor Ferienhäuschen
■ In Wales wird alles Englische als nationale Bedrohung empfunden
Für David, einen 35jährigen Volksschullehrer aus Dwyfor, ist auch der geringste englische Einfluß schon zuviel. „Unsere Kultur wird durch die Engländer zerstört“, sagt er – eine Antwort, die auch seine Nachbarn geben würden. Englisch ist für ihn eine Fremdsprache, seine Muttersprache ist Walisisch. Er lebt auf der Lleyn-Halbinsel an der Nordspitze von Wales. Die Londoner Regierung hat 1989 eine sechsspurige Schnellstraße durch Nordwales gebaut, um die Fahrzeit zwischen Liverpool und der walisischen Hafenstadt Holyhead in Anglesea drastisch zu verkürzen; seither hat zwar der Durchgangsverkehr stark zugenommen, doch Lleyn wird auf den ersten Blick davon bis heute kaum berührt, obwohl die Autobahn relativ nahe vorbeiführt. Die Einwohner gehen weiter ihrer vorwiegend landwirtschaftlichen Tätigkeit nach, leben relativ isoliert in kleinen Bauernhäusern und strohgedeckten Hütten.
Doch unter der friedlich scheinenden Idylle brodelt es. Viele EinwohnerInnen sehen immer mehr Indizien dafür, daß sich aufgrund der Schnellstraße der Einzugsbereich von Liverpool stetig bis weit nach Wales hinein ausdehnt. Eine mächtige „Anglisierung“, so die Furcht, werde die bisher identitätsstiftende walisische Sprache endgültig zerstören. Auf Lleyn ist das zu den keltischen Sprachen gehörende Walisisch noch am weitesten verbreitet: 81,5 Prozent der Bevölkerung gaben bei einer Volkszählung noch Anfang der 90er Jahre an, es als Umgangssprache zu benutzen.
In Schulen und Geschäften, im Landrat und selbst im „Konservativen Club“ ist Walisisch die gemeinsame Sprache aller. So wundert es auch nicht, daß sich just in Lleyn auch die in den 80er Jahren berüchtigten „Meibion Glyndwr“ besonders hervortaten: Ihr Name ist der walisische Begriff für „Söhne von Glendower“. Die Geheimgesellschaft benennt sich nach jenem Helden, der im Jahr 1400 vorübergehend die walisische Unabhängigkeit erkämpfte.
In dieser Tradition fürchtet sie alles, was auch nur annähernd englisch ist. So steckte sie in den letzten Jahren gut zweihundert englische Ferienbungalows in Brand, deren Eigner oder vorwiegende Benutzer Engländer waren. Auch Wohnungen fest im Lande residierender Zuzügler wurden aufs Korn genommen.
85 Prozent der Einwohner Lleyns teilen nach Umfrageergebnissen die Ziele der „Söhne von Glendower“, auch wenn sie nicht unbedingt mit deren Mitteln einverstanden sind. Inzwischen ist es zwar ruhiger um die Geheimorganisation geworden, doch Lehrer David hat keinen Zweifel daran, daß ihre Aktivitäten wieder zunehmen würden, sollte eine nach den Wahlen in zwei Jahren wahrscheinliche Labour-Regierung Wales bei den versprochenen Regionalplänen nicht dieselben Rechte wie Schottland zugestehen. Ralf Sotschek, Dwyfor
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