■ Das Portrait
: Gilles Deleuze

Seine philosophischen Unterweisungen sind klein geblieben, wie auch sein ästhetisches Denken sich „Für eine kleine Literatur“ ausspricht. So muß Gilles Deleuze zu seinem 70. Geburtstag ohne den sonst angestimmten gehobenen Ton der Laudatoren und Gratulanten auskommen. Auch wird man vergeblich nach einer deutschen Gesamtausgabe der Schriften des am 18.1. 1925 geborenen Franzosen suchen. Verstreut geistern Übersetzungen seiner Bücher zu Bergson, Kant, Nietzsche und Spinoza durch das Verlagsprogramm von Suhrkamp, Merve oder Wilhelm Fink. Seine philosophische Weitsichtigkeit lag bereits Ende der sechziger Jahre im Abtauchen begründet, im Ausweichen vor der Meisterschaft großer Erzählungen, denen etwa Adornos „Ästhetische Theorie“ oder Habermas' Verortung von Kommunikation und Öffentlichkeit noch folgten.

Wie Michel Foucault widersprach Deleuze einer Ordnung des Diskurses, die nichts mehr über dessen Teilnehmer besagte: Gemeinsam mit dem Psychoanalytiker Felix Guattari verfaßte er den „Anti-Ödipus“, einen Abgesang auf das Subjektdenken der Moderne, dem er die Schizophrenie des Menschen im Kapitalismus entgegenhielt und die für ihn im situationistischen Begehren Ein NomadeFoto: Archiv

der 1968 revoltierenden Studenten ihren Ausdruck fand. Ein nach dem Prinzip von repressiver Toleranz geregeltes soziales Gefüge sollte nicht länger akzeptiert werden, statt dessen plädierten Deleuze/Guattari für eine Rückkehr zum Nomadentum, dessen heldenhaftes Ausharren in der Entfremdung sie in Antonin Artauds Schriften oder den Reise-Delirien Rimbauds ebenso aufspürten wie in der wirren Wunschökonomie psychiatrischer Patienten. Der Faden, die Rückbindung individueller Begierden an ihre gesellschaftliche Integrierbarkeit, für die Religion oder spätere Moralphilosophien einmal einstanden, war gerissen – in einer total über Konsum, Befriedigung und Strafandrohung bestimmten Zweckgemeinschaft lebt jeder Mensch subjektlos und mit einem „Knacks“ dahin. Entsprechend forderten Deleuze/ Guattari die Öffnung aller Kliniken, da Draußen und Drinnen nicht mehr zu unterscheiden seien. Solcherart als wildes Denken installierte Subversion wurde in Deutschland nicht hingenommen. Jürgen Habermas kritisierte die „neuen Franzosen“ in den achtziger Jahren als ekstatisch – und „unübersichtlich“. Doch da schrieb Deleuze schon an einer Theorie des Kinos. hf