: Rechtsradikaler Verfolgungswahn
Prozeß gegen die vier Herausgeber der rechten Broschüre „Einblick“ hat begonnen / Angeklagte sammelten Daten über Linke, Juristen und Journalisten ■ Aus Groß-Gerau Klaus-Peter Klingelschmitt
Vor einer Jugendkammer am Amtsgericht Groß-Gerau begann gestern der Prozeß gegen die vier HerausgeberInnen und Autoren der neofaschistischen Hetzbroschüre „Der Einblick“. In dem in einer Auflage von 500 Stück vertriebenen Pamphlet wurde offen zu Gewalttaten gegen rund 280 dort namentlich mit Adresse, Telefonnummer und oft auch mit Kfz- Kennzeichen aufgeführte Personen aufgerufen. Es handelte sich dabei um Leute aus der linken und grün-alternativen Szene sowie um JuristInnen und JournalistInnen. Es gehe um die „Ausschaltung aller antideutschen- und antifaschistischen Terroristen“, hieß es in dem Vorwort, das nach der Überzeugung der Staatsanwaltschaft hauptverantwortlich von den Angeklagten Stephan C. aus Wiesbaden und Norman K. aus Rüsselsheim verfaßt wurde.
Daß die Staatsanwaltschaft in Darmstadt das Verfahren vor einem Jugendschöffengericht zur Anklage gebracht hat, sorgte schon vor Prozeßbeginn für Irritationen. Denn lediglich die Hausfrau Karin M., die der „Beihilfe“ angeklagt ist, war zur Tatzeit 18 Jahre alt. Stephan C. (23), Norman K. (26) und vor allem Hans E. (65), in dessen Druckerei und Verlag in Rodach bei Coburg der „Einblick“ hergestellt wurde, hätten dagegen vor einem ordentlichen Gericht auch wegen eines „Organisationsdeliktes“ angeklagt werden müssen. Diese Auffassung vertrat jedenfalls die Änwältin der Nebenklage, Waltraud Verleih. Sie vertritt den früheren Kreistagsabgeordneten der Bündnisgrünen, Wilhelm Junker aus Rüsselsheim, dessen Personendaten im „Einblick“ veröffentlicht worden waren. Polizei und Verfassungsschutz hatten Junker seinerzeit geraten, für drei Monate in Spanien unterzutauchen – oder doch wenigstens sein Auto vor der Benutzung akribisch nach einer Bombe abzusuchen.
Der vorsitzende Amtsrichter Rudolph versuchte dem Verfahren die politische Dimension zu nehmen und den, seiner Meinung nach, „heranwachsenden“ Angeklagten goldene Brücken zur Selbstverteidigung zu bauen. Dabei hatte Stephan C. gleich zu Prozeßbeginn erklärt, daß „alle, die hier auf der Bank sitzen“, die Herausgeber des „Einblick“ gewesen seien und er selbst schon alleine einen Vorläufer des „Einblick“ konzipiert habe. Auch über seine Verbindungen zu Neofaschisten in Dänemark und den USA berichtete Stephan C. in aller Offenheit. Sein Kumpan Norman K. habe seinen Computer mit den Informationen über „Linke“ gefüttert. Diese Informationen seien nach Anzeigen in rechtsradikalen Blättern bei ihm eingegangen. Mit einem Urteil ist in knapp zwei Wochen zu rechnen.
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