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Das Wunder der Wiedergeburt

„Léon – der Profi“: ein gemütsarmer Killer in Luc Bessons neuem Kinomärchen  ■ Von Norbert Grob

Eine Crux ist es im Moment mit dem Kino. Nur wenig brennt, nur wenig glitzert, selbst in Hollywood funkelt es eher trüb. Mit Glück nur glimmt es da und dort ein bißchen – bei Hal Hartley & Quentin Tarantino in den USA, bei Gianni Amelio & Nanni Moretti in Italien, bei Hou Hsiao Hsien, Chen Kaige, Zhang Yimou in China.

Allein in Frankreich gehen die Filmemacher noch immer äußerst weit. Sie provozieren, bezaubern, erregen, schockieren: die große Oper bei Patrice Chéreau („Die Bartholomäusnacht“), die irritierende sophisticated comedy bei Alain Resnais („Smoking/No Smoking“), das historische Sittenbild bei Jacques Rivette („Johanna, die Jungfrau“), die verspielt-melancholische detective story bei Anémone & Toni Marshall („Die Detektivin“) und das schwarze, obsessive Drama bei Bertrand Tavernier. Und nun der harte, zynische Actionthriller von Luc Besson: „Léon – der Profi“.

Im Mittelpunkt steht ein Berufsmörder: der gemütsarme cleaner, der schon in Bessons letztem Thriller „Nikita“ seinen kurzen, rasanten Auftritt hatte – eine Maschine, für die allein die perfekte Erledigung ihres Jobs zählt. Ein Kind der Hölle, das von dieser Welt nichts weiß und nichts wissen will. Das macht es zunächst schwierig, ihm nahezukommen. Besson nutzt diesen brutalen Beginn jedoch eher als erste, kontrapunktische Ebene, die alles Spätere – die Hinwendung zu Gedanken und Gefühlen – nur um so berührender macht. Ihn interessiert nicht der Mythos des Monsters, sondern das Wunder der Wiedergeburt, wie bei aller Grausamkeit zu Beginn schließlich doch die Emotionen triumphieren.

Eines Tages hilft der Killer einem jungen Mädchen (Natalie Portman), dessen Familie von korrupten Polizisten umgebracht wurde (mit dabei: Gary Oldman als Psychopath). Er steht ihr bei, obwohl er es eigentlich nicht will. Er läßt sie an seiner Seite, obwohl er es eigentlich nicht will. Und er unterstützt ihren Rachefeldzug, obwohl er es eigentlich nicht will. Doch je entschlossener er gegen seine Interessen handelt, desto entschiedener findet er am Ende zu sich selbst. Vielleicht ist der Film am ehesten als ein Remake der berührendsten Szene aller „Frankenstein“-Filme zu fassen: als langgezogene Variation des einen Augenblicks, wenn bei James Whale das kleine Mädchen dem Monster (Boris Karloff) freundlich begegnet – und das Monster darüber entdeckt, daß es möglicherweise auch so etwas ist wie ein Mensch.

Bei Besson reagiert das Monster ähnlich ungeschickt wie bei Whale. Nur tötet es nicht sofort – und erhält so seine zweite Chance. Auch wenn das den Anfang seines Endes bedeutet, die Empfindungen und Erfahrungen, die es danach macht, das stellt Besson sehr deutlich klar, reinigen es nicht nur im existentiellen, sondern auch im ethischen Sinn: Das Monster und wie es in die Welt kam und sich wandelte zum zornigen Menschen.

Bei der Ikonographie seines Monsters setzt Besson eher bei den schwärzeren Phantasien des Kinos an: bei Frank Tuttles „Narbenhand“ etwa, der sich seinerseits auf Whale bezog, und bei Jean-Pierre Melvilles „Eiskaltem Engel“: Die Hosen des Killers sind immer zu kurz und zu weit. Er trägt keine Hemden und Jacketts, nur T-Shirts, darüber dicke Hosenträger und einen langen Wollmantel. Er trinkt ausschließlich Milch. Sein einziger Besitz sind Waffen – und eine kleine Pflanze im Topf, die er voller Hingabe gießt und pflegt. Sein Leben gehört zur Welt des Schattens, der niemals weicht. Besson mochte das Spektakuläre von Anfang an: die dunkle Endzeitphantasie in „Die letzte Schlacht“ (1982), die stilisierte Halbwelt in „Subway“ (1985), den Rausch des Tieftauchens in „Le Grand Bleu“ (1988), die grelle, plakative Brutalität in „Nikita“ (1990), die magische Unterwasserwelt in „Atlantis“ (1991).

Mit „Léon“ – den er eigens für den Schauspieler Jean Reno, dieses französische stoned face, geschrieben hat – ist er erstmals in die USA gegangen, nach New York, um für seine Tragödie ein, wie er sagt, „gigantisches Räderwerk“ als Umfeld zu haben, in dem „ein kleines Sandkorn wie Léon“ verschwinden kann – wie „ein unauffindbares U-Boot“, das „nicht auszumachen ist“. Von Melvilles Einsamkeit des Samurai handelt der Film und von Scorseses „Niemand“, der nur nicht länger davon träumte, ein Jemand zu sein.

Im Grunde filmt Besson seit je nach der Devise: Was die Amerikaner machen, können Europäer sowieso besser, weil sie bei aller Liebe für action, fürs rasante Bumbum das notwendige Zartgefühl nicht außer acht lassen.

„Léon – der Profi“. Buch und Regie: Luc Besson. Mit Jean Reno, Gary Oldman, Natalie Portman und Danny Aiello. Frankreich 1994.

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