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Pralines und Zuckerstückchen

■ Brahms, Fauré und Mahler zergingen auf der Zunge beim Sonderkonzert der Philharmonischen Gesellschaft ein Sonderkonzert der Philharmonischen Gesellschaft

Spontaner und nicht endenwollender Jubel im ehrwürdigen Kleinen Glockensaal: die Kammermusikfans kamen voll auf ihre Kosten, als mit einem Sonderkonzert der Philharmonischen Gesellschaft wieder einmal bewiesen wurde, wie wenig verstaubt, Kammermusik ist. Noch dazu war die seltene Besetzung Klavierquartett zu hören: es gibt einfach zu wenig Werke, als daß sich dauerhafte Ensembles bilden könnten. Also haben sich hier vier zusammengetan, die mit überragendem Können und einer umwerfenden Lust an der Sache ein Programm zusammenstellten. Die armenische Bratscherin Kim Kashkashian, von der der Impuls wohl ausging, der französische Pianist Michel Dalberto, der russische Geiger Dimitry Sitkovetsky und der litauische Cellist David Geringas hatten also nicht den Vorzug einer Gruppe, die sich in und auswendig kennt, sondern sie führte neben Solisten- und Professorentätigkeiten die Liebe zur Kammermusik zusammen. Ich habe selten einen derart musikantischen Hochdruck, der immer noch sowohl differenziert als auch gesteigert werden kann, gehört. Dies bezieht sich auf die Wiedergabe des Klavierquartettes g-Moll, op. 25 von Johannes Brahms, wahrlich eine Sternstunde von Interpretation.

Nun ist Brahms ja einer, der sich in die Frage, was denn Interpretation sei, eingemischt hat: Er habe als Interpret, sagte er, gegenüber dem Werk gar keinen Willen zu haben. Radikal stattete er demnach seine eigenen Noten mit Phrasierungs-und Dynamikvorschriften aus. Die Reaktion der Uraufführungskritik über das Klavierquartett in Wien gehört jedenfalls zu den berühmten Fehlurteilen in der Musikgeschichte, wenn der damalige Kritiker meinte, er höre aus dem Werk nur „Öde, Sturm, Grausen, Frost, Vernichtung und Trostlosigkeit“: allerdings zeigt dieses Urteil die innovative Erfindungskraft des 28jährigen Komponisten. An diesem Abend barst die äußerst genaue Interpretation der vier MusikerInnen nur so vor konträren Gestaltungen der vielen Charaktere, der selbstsicheren Versonnenheit des ersten Satzes, der geheimnisvollen, rhythmisch verzahnten Verhangenheit des Intermezzo, der stillen Liedhaftigkeit des Andante und der glutvollen „Rondo alla zingarese“, hier mit einer unglaublic hen und mitreißenden Vitalität gespielt.

Die beiden anderen Werke des Abends kann man als Leckerbissen des Repertoires bezeichnen: das Klavierquartettfragment a-Moll des 16- jährigen Gustav Mahler, der ja bekanntlich viele seiner Jugendwerke vernichtete, von diesem aber sagte, es sei das beste der Jugendjahre gewesen, er habe es aber später verloren. Von daher gesehen ein hochinteressantes Werk, zeigt es doch Mahler voll in der klassisch-romantischen Tradition, voll dramatischer Erfindung. Die dissonante Spannung, mit der der ergänzende Komponist Alfred Schnittke den zweiten Satz vollendete, bringt das Werk erst in die Nähe der kommenden Jahrhundertwende.

Die Wiedergabe wirkte etwas pauschal, besonders im Klaviersatz zu dick. Dann einer der seltsamsten Komponisten des französischen 19. Jahrhunderts: Gabriel Fauré, von dem allenfalls noch sein stilles, auch süßliches Requiem, bekannt ist. Sein melodien- und modulationsreiches Klavierquartett op. 45 ist angenehm zu hören, besonders in dieser wunderbar gekonnten Wiedergabe, aber der Eindruck einer gewissen Weitscheifigkeit, auch Geschwätzigkeit bleibt haften, eine anhaltend „erschütterungsfreie Gelassenheit“ (Wilfried Mellers): diese zerbrechliche Musik wird immer Geschmackssache bleiben. Der Einsatz dieser InterpretInnen für diese Musik jedoch – auch als Zugabe erklang noch ein Satz aus einem anderen Quartett – gibt zu denken: zumindest scheint Fauré, der den Deutschen vorwarf, es fehle ihnen an „Raffinement und Feingefühl“, der nie eine Mode oder einen „Fortschritt“ mitgemacht hat, es verdient zu haben, daß er einmal mit eigenen Kriterien untersucht und gemessen wird. Ein musikgeschichtlich und interpretatorisch aufregender Abend.

Ute Schalz-Laurenze

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